Algorithmisches Denken (Medienbildung)

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Im engeren Sinne die kognitive Kompetenz zur strukturierten Lösung von Problemen, bei der ein Algorithmus als Handlungsvorschrift erarbeitet wird, im weiteren Sinne Teil der computer- und informationsbezogenen Kompetenzen, bei denen auch ein Bewusstsein für algorithmische Prozesse und deren soziale Folgen gefördert werden soll.
Dieser Artikel verweist auf folgende weitere Beiträge:
Algorithmus (Medienwissenschaft), Computational Thinking (Medienbildung), Computer and Information Literacy (Medienbildung), Daten (Medienwissenschaft), ICT Literacy (Medienbildung)

Was bezeichnet dieser Begriff?

Ein Algorithmus ist eine exakt definierte Handlungsanweisung, die aus einer begrenzten Anzahl und fest vorgegebenen Folge von Einzelanweisungen zur Lösung eines Problems besteht, wobei jeder Schritt berechenbar, also ausführbar sein muss. An deren Ende steht ein nachvollziehbares und unter gleichen Voraussetzungen stets wiederholbares Ergebnis. Algorithmen können von Menschen ausgeführt, in Computerprogrammen umgesetzt und in digitalen Systemen wie etwa einem Ampelsystem, aber auch in mechanischen Apparaten eingesetzt werden.

Algorithmisches Denken ist im engeren, mathematikdidaktischen Sinne dementsprechend ein problemorientiertes, logisches Denken, das zur Bearbeitung und Lösung eines Problems einen Algorithmus, also eine eindeutige und wiederholbare Handlungsvorschrift sucht und entwickelt. Kennzeichnend für diese Vorgehensweise ist in der Regel die Zerlegung des Prozesses in einzelne Teilsequenzen, die mit Hilfe von beispielsweise Berechnungen leichter bearbeitet werden können, in jedem Fall aber auf die vorhandenen Ressourcen und Werkzeuge angepasst werden sollen.[1]

Im weiteren Sinne kann algorithmisches Denken als Teilkompetenz der aus der Pädagogik stammenden Computer- und informationsbezogenen Kompetenzen bzw. Literacies verstanden werden, die zunächst im Kontext des Informatikunterrichts oder allgemeiner im Umgang mit Informationstechnologien und Computern beispielsweise bei Schüler_innen Einsatz finden.[2] Darüber hinaus gewinnt algorithmisches Denken auch in anderen alltäglicheren Bereichen an Bedeutung, da es das Bewusstsein für algorithmische Prozesse und deren Folgen für menschliches Leben fördern soll.[3] Dazu gehört dann, nicht mehr lediglich zu verstehen, wie Computer Informationen verarbeiten, welche Konzepte hinter Codes liegen und wie Sachverhalte von Menschen in maschinelle Abläufe übersetzt werden, sondern auch menschliche Fehler wie Diskriminierungstendenzen, die bei der Erstellung von Algorithmen und algorithmisch gesteuerten Technologien einfließen können, zu erkennen und bei der Bewertung der Vertrauenswürdigkeit von Algorithmen einzukalkulieren.[4]


Woher kommt der Begriff?

Der Begriff 'Algorithmisches Denken' ist ein Teilbereich des sogenannten Computational Thinking. Als pädagogisches Konzept wurde der Begriff 'Computational Thinking' erstmals 1980 durch den Mathemathiker und Erziehungswissenschaftler Seymour Papert verwendet, wobei hier zunächst nur von der kindgerechten Vermittlung von einfachen Programmiersprachen, nicht aber explizit von algorithmischem Denken die Rede war.[5] Später wurde der Begriff durch die Informatikerin Jeanette M. Wing aufgegriffen, die ihn zu einem weitreichenderen pädagogischen Konzept entwickelte.[6] Seitdem wird das Konstrukt in daran anschließenden Ansätzen allgemein als "ein Bündel fundamentaler fachübergreifender Fähigkeiten [angesehen], die es einem Individuum ermöglichen, komplexe Probleme unter Verwendung von Datenverarbeitung zu lösen."[7] Diese Lösungsansätze sind nicht zuletzt auch algorithmische Vorgänge, die entweder mit oder ohne Computer und in unterschiedlichen Kontexten durchgeführt werden können. So können beispielsweise im Informatikunterricht Prozesse der Problemlösung "als Schritte und Algorithmen dargestellt werden" oder einfache Algorithmen können durch die Schüler_innen erlernt und für spezifische Problembereiche angewendet werden.[8]

Im Diskurs der kritischen Medienpädagogik kann algorithmisches Denken als „ein Denken auf das Berechenbare, auf die Maschine hin“ und als „ein Denken der Verengung“[9] zurückgewiesen werden.


Wonach muss ich fragen?

  • Leistet der Algorithmus das, was er leisten soll? Erfüllt der Algorithmus seinen Zweck?
  • Wie sind die Ergebnisse zustande gekommen?
  • Was sind nicht intendierte Nebeneffekte dieses algorithmischen Vorgangs?
  • Wer definiert die Kriterien und ihre Gewichtung, die für die Entwicklung eines Algorithmus maßgeblich waren?
  • Wer diskutiert diese Kriterien?
  • Welche Qualität haben die Daten, auf die der Algorithmus zugreift?
  • Unterstützt ein Algorithmus menschliches Handeln oder ersetzt er es?
  • Welche Aufgaben für den Menschen entstehen möglicherweise erst durch den Einsatz eines Algorithmus?
  • Welche Motive und Interessen stecken hinter dem Einsatz eines Algorithmus? Dient der Einsatz des Algorithmus dem Allgemeinwohl oder partikularen Interessen?
  • In welchen Situationen, sollte man einer algorithmisch gestützten Maschine Kontrolle über gewisse Arbeits- und Handlungsprozesse einräumen, in welchen ist diese Kontrolle zu regulieren?
  • Wann sollte man sich den Vorschlägen, Anweisungen und Entscheidungen der Algorithmen widersetzen? Sind die Anweisungen sinnvoll, logisch und gerecht?

Wann ist das wichtig?

Über den Schulunterricht hinaus wird algorithmisches Denken inzwischen auch im alltäglichen Leben als relevant erachtet, da Algorithmen heute verschiedenste technische Geräte und technikgestützte Handlungsprozesse durchdringen. So werden verhältnismäßig simple Anwendungen wie die automatische Kaffeemaschine bis hin zu hochkomplexen Technologien wie Suchmaschinen durch Algorithmen ausgeführt.[10] Grundlegend zu verstehen, wie diese sogenannten automatisierten Systeme funktionieren, gewinnt vor allem deshalb an Bedeutung, weil sie einen immer weitreichenderen Einfluss auf das Leben der Menschen haben, also „lebensverändernde Entscheidungen“[11] herbeiführen können, etwa bei der Beurteilung von Kreditwürdigkeit, der Einstufung von Versicherungsklassen oder beim predictive policing.


Wie wird der Begriff erfasst/festgestellt?

Da Algorithmisches Denken als Teilkompetenz des Computational Thinking geführt wird, lassen sich Studien zur Erfassung von algorithmischem Denken besonders unter der Erfassung von Computational Thinking finden. Verweisen lässt sich hier vor allem auf die internationale Studie zu computer- und informationsbezogenen Kompetenzen von Schüler_innen ICILS (International Computer and Information Literacy Study).[12]


Welche Bildungsprojekte gibt es dazu?

  • Die Initiative Coding for Tomorrow der Vodafone Stiftung Deutschland hat zum Ziel, Kindern und Jugendlichen bis zur 8. Jahrgangsstufe sowie Lehrkräften und Eltern im Rahmen von Workshops den kritischen und kreativen Umgang mit digitalen Technologien inklusive Programmiersprache und technischer Hardware in Form von Workshops zu vermitteln: https://coding-for-tomorrow.de/.
  • Ziel des Projekts DataSkop der gemeinnützigen Organisation AlgorithmWatch ist es, die digitalen Kompetenzen der Individuen zu stärken, den informierten Umgang mit (eigenen) Daten zu lernen und algorithmische Strukturen in ihren Grundzügen zu verstehen: https://algorithmwatch.org/forschung/projekte/.


Weiterführende Literatur


Quellenverzeichnis

  1. Lockwood, Elise et al. 2016. "Algorithmic Thinking: An Initial Characterization of Computational Thinking in Mathematics." In Proceedings of the 38th annual meeting of the North American Chapter of the International Group for the Psychology of Mathematics Education, herausgegeben von Marcy B. Wood et al., 1588-1595. Tucson: The University of Arizona. Aufgerufen am 23.04.2021, https://files.eric.ed.gov/fulltext/ED583797.pdf.
  2. Vgl. Eickelmann, Birgit et al. 2019. ICILS 2018 #Deutschland - Computer- und informationsbezogene Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern im zweiten internationalen Vergleich und Kompetenzen im Bereich Computational Thinking. Münster/ New York: Waxmann. Aufgerufen am 23.04.2021, https://kw.uni-paderborn.de/fileadmin/fakultaet/Institute/erziehungswissenschaft/Schulpaedagogik/ICILS_2018__Deutschland_Berichtsband.pdf.
  3. Vgl. Dörge, Christina. 2015. Informatische Schlüsselkompetenzen. Konzepte der Informationstechnologie im Sinne einer informatischen Allgemeinbildung. Potsdam: Universitätsverlag Potsdam. Aufgerufen am 23.04.2021, http://oops.uni-oldenburg.de/1426/.
  4. Fry, Hannah. 2019. Hello world: was Algorithmen können und wie sie unser Leben verändern. Übersetzt von Sigrun Schmid. München: C.H. Beck, S. 37; 235.
  5. Papert, Seymour. 1990. Mindstorms: Children, Computers, And Powerful Ideas. New York u.a.: Harvester Wheatsheaf.
  6. Papert, Seymour. 1990. Mindstorms: Children, Computers, And Powerful Ideas. New York u.a.: Harvester Wheatsheaf; Wing, Jeannette M. 2006. „Computational Thinking.“ Communications of the ACM 49 (3): 33-35. Aufgerufen am 08.07.2020, https://doi.org/10.1145/1118178.1118215.
  7. Eickelmann, Birgit et al. 2019. ICILS 2018 #Deutschland - Computer- und informationsbezogene Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern im zweiten internationalen Vergleich und Kompetenzen im Bereich Computational Thinking. Münster/ New York: Waxmann. Aufgerufen am 23.04.2021, https://kw.uni-paderborn.de/fileadmin/fakultaet/Institute/erziehungswissenschaft/Schulpaedagogik/ICILS_2018__Deutschland_Berichtsband.pdf, S. 98.
  8. Eickelmann, Birgit et al. 2019. ICILS 2018 #Deutschland - Computer- und informationsbezogene Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern im zweiten internationalen Vergleich und Kompetenzen im Bereich Computational Thinking. Münster/ New York: Waxmann. Aufgerufen am 23.04.2021, https://kw.uni-paderborn.de/fileadmin/fakultaet/Institute/erziehungswissenschaft/Schulpaedagogik/ICILS_2018__Deutschland_Berichtsband.pdf, S. 99.
  9. Grabowski, Susanne und Frieder Nake. 2019. "Algorithmische Kunst als Bildungsgegenstand. Gedanken zu einer fachlichen Bildung über Fächer hinaus." MedienPädagogik, 33 (Februar), 76–101. Aufgerufen am 23.04.2021, https://doi.org/10.21240/mpaed/33/2019.03.19.X, S. 76.
  10. Vergleiche die Einordnung von Julia Kleeberger (Junge Tüftler*innen) und Matthias Spielkamp (AlgorithmWatch) in einem Interview der Bundeszentrale für politische Bildung: Frost, Birgit und Clara Eder. 2018. "Algorithmisches Denken verstehen." Bundeszentrale für politische Bildung (27.02.). Aufgerufen am 29.04.2021, https://www.bpb.de/lernen/digitale-bildung/werkstatt/265456/algorithmisches-denken-verstehen.
  11. Fry, Hannah. 2019. Hello world: was Algorithmen können und wie sie unser Leben verändern. Übersetzt von Sigrun Schmid. München: C.H. Beck, S. 26.
  12. Eickelmann, Birgit et al. 2019. ICILS 2018 #Deutschland - Computer- und informationsbezogene Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern im zweiten internationalen Vergleich und Kompetenzen im Bereich Computational Thinking. Münster/New York: Waxmann, https://kw.uni-paderborn.de/fileadmin/fakultaet/Institute/erziehungswissenschaft/Schulpaedagogik/ICILS_2018__Deutschland_Berichtsband.pdf.

Die erste Version dieses Beitrags wurde von Thomas Tekster im Rahmen des Projekts "Digitale Souveränität" am Institut für Medienrecht und Kommunikationsrecht und am Institut für Medienkultur und Theater der Universität zu Köln erstellt.

Zitiervorschlag: Glossar Digitale Souveränität. 2021. „Algorithmisches Denken (Medienbildung).“ https://www.bigdataliteracy.net/glossar/. Zugegriffen am tt.mm.jjjj.