Datensouveränität

Autonomer Zustand einer von Datenerhebung betroffenen Person oder auch Organisation, die aufgrund von erlernten persönlichen Fähigkeiten und Kenntnissen, ggf. aber auch durch datenschutzrechtliche Regulierung und infrastrukturelle Voraussetzungen in der Lage sein soll, informierte und reflektierte Entscheidungen über die Nutzung ihrer Daten durch andere zu treffen. Der umstrittene Begriff nimmt in verschiedenen politischen und ökonomischen Strategien stark divergierende Bedeutungen an.
Dieser Artikel verweist auf folgende weitere Beiträge:
Big Data (Medienwissenschaft), Daten (Medienwissenschaft), Datenschutz (Rechtswissenschaft), Datensicherheit (Medienwissenschaft), Digitale Kompetenz (Medienbildung), Digitalisierung (Medienwissenschaft), Informationelle Freiheitsgestaltung, Informationelle Selbstbestimmung (Rechtswissenschaft), Informationelle Selbstbestimmung (Medienwissenschaft), Medienkompetenz (Medienbildung), Öffentlichkeit (Medienwissenschaft), Personenbezogene Daten (Rechtswissenschaft)

Was bezeichnet dieser Begriff?

Der Begriff der Datensouveränität findet in Diskursen um die Digitaltransformation und damit einhergehenden Forderungen nach digitaler Souveränität immer häufiger Gebrauch, bleibt aber wegen seiner teilweise divergierenden Verwendung und seiner engen Verwandtschaft mit ähnlichen Begriffen oft eher unscharf.

In der Rechtswissenschaft bezeichnet die Datensouveränität einen Zustand der Autonomie einer datengebenden Person, die aufgrund von gewissen Fähigkeiten und bestimmtem Wissen in der Lage ist, informierte und reflektierte Entscheidungen über die Nutzung ihrer personenbezogenen Daten durch andere zu treffen.[1] In daran anschließenden politischen Diskursen zur Digitalisierung wird Datensouveränität als ein Idealzustand verstanden, der es Personen auch noch angesichts jüngster technologischer Entwicklungen wie dem breiten Einsatz von Big Data ermöglicht, durch souveränes Handeln aktiv und selbstbestimmt am digitalen Leben teilzunehmen.

Zunächst scheint der Begriff damit auf Fähigkeiten und Fertigkeiten zu zielen, die ein einzelner Mensch erwerben kann, um dann in Bezug auf die über ihn erhobenen Daten souverän zu handeln. Obwohl damit ein Ziel der individuellen Medienbildung beschrieben ist, wird der Begriff häufig nicht eingesetzt, um diese Kompetenzen und ihren Erwerb positiv zu beschreiben, sondern um den Einsatzbereich von zwingenden datenschutzrechtlichen Normen zu Lasten einer Zustimmung zu Datennutzungen durch die Betroffenen einzuschränken. So werden Forderungen nach mehr Datensouveränität vor allem in Diskursen um Wirtschaft und Wettbewerbsfähigkeit in Zeiten der Digitalisierung durch Politiker_innen und Unternehmer_innen erhoben [2]. Sie stellen eine Auffassung von Datensouveränität meist in Widerspruch zu einer konsequenteren oder strengeren Durchsetzung geltender Datenschutzgesetze und einer damit einhergehenden Datensparsamkeit, die jeweils der individuellen Datensouveränität nützen müssten. Der Begriff wird daher teilweise stark kritisiert und als "Lobbybegriff der Datenindustrie" bezeichnet (siehe Herkunft des Begriffs).[3] Fraglich ist insbesondere, unter welchen Bedingungen eine entsprechende Einwilligung zur Datennutzung von den Betroffenen hinreichend verstanden, reflektiert und frei getroffen werden kann.

Damit stehen sich im öffentlichen und politischen Gebrauch des Begriffs der Datensouveränität Vorstellungen von Souveränität gegenüber, die als souverän entweder eine Handlungskompetenz und -weise eines Individuums allein beschreiben oder deren Abhängigkeit von den institutionell gefassten Bedingungen seiner Handlungsmöglichkeiten in den Blick nehmen. Aus der zweiten Perspektive kann Souveränität nur durch das Zusammenspiel von sozialen und individuellen Normen erreicht werden. Die zunächst interdisziplinäre Diskussion, inwiefern Datensouveränität ein Ziel der Medienbildung oder des Medienrechts sein könne, bildet somit widerstreitende politische Positionen ab. Ob individuelle Datensouveränität einen gesetzlich vorgeschriebenen und streng umgesetzten Datenschutz ergänzen oder ersetzen kann oder vielmehr von ihm abhängig sei, ist nicht zuletzt eine Frage für empirische Medienwissenschaft und für Erwägungen der Medienethik.

So wurde etwa in Diskussionen zum Einsatz von Big Data im Gesundheitsbereich der Begriff der Datensouveränität gebraucht [4]. Der Deutsche Ethikrat bringt das Konzept mit dem Begriff der informationellen Freiheitsgestaltung in Zusammenhang. Beide Konzepte beziehen sich hier im Kern auf die Idee eines freien und selbstbestimmten Umgangs mit den eigenen Daten auf Basis des ethisch wie juristisch aufgefassten Rechts auf informationelle Selbstbestimmung oder eines denkbaren, noch näher zu bestimmenden spezifischeren Rechts auf digitale Selbstbestimmung. Alle diese Begriffe reagieren in verschiedener Weise auf die Wahrnehmung eines Kontrollverlusts für Individuen und Kollektive im Umgang mit digitalen Medien und setzen an verschiedenen Stellen an, um mediale Kontrolle wiederherzustellen.

Da Daten eine ökonomische Ressource sind, wird Datensouveränität in diesem Kontext als Selbstbestimmung über Datengüter verhandelt, die sich dann nicht nur auf natürliche Personen, sondern auch auf Unternehmen, Staaten und Verbünde beziehen kann. Laut Bundeswirtschaftministerium ist „Datensouveränität [...] gewährleistet, wenn die Verfügungs- und Nutzungsrechte an Daten, das heißt der Zugriff, der Transfer, die Verarbeitung und die Analyse auf jeder Wertschöpfungsebene ein selbstbestimmtes Handeln gewährleisten.“[5] Technische Infrastrukturen, wie etwas das europäische GAIA-X, sollen die Datensouveränität als ein Wettbewerbsfaktor in der europäischen Datenökonomie fördern: "Für die Monetarisierung von Daten allgemein, aber auch für den Datentransfer über Unternehmensgrenzen hinweg, ist Datensouveränität somit ein wichtiger Faktor. Ohne diese Souveränität sinkt der Anreiz, Datensätze zu generieren und zur Verfügung zu stellen, da so die Gefahr besteht, dass Wissen unkontrolliert abfließt und die Investitionen für ein Unternehmen generell unwirtschaftlich sind."[6]

Woher kommt der Begriff?

Der Ursprung des Begriffs der Datensouveränität datiert aus der Zeit um 2012, als die Datenschutzgrundverordnung der Europäischen Union erstmals diskutiert wurde. Er steht im Kontext einer sich rasch entwickelnden Digitalisierung und der damit verbundenen globalen "Ausdifferenzierung der Informationsverarbeitung zu einem eigenständigen Wirtschaftszweig", in der Daten "als Waren gehandelt werden"[7], aufkam. Die in diesem Zusammenhang in Wirtschafts- und politischen Kreisen von Arbeitnehmer_innen häufig geforderten, teilweise recht vage definierten digitalen Kompetenzen schließen im Kontext der von Unternehmen in großem Stil betriebenen Big Data-Methoden auch die Datensouveränität mit ein, von der im Extremfall angenommen wird, sie könne als zeitgemäße Alternative die heute geltenden, vermeintlich veralteten Datenschutzgesetze ablösen, die auch als Abwehrrechte zum Schutz des datengebenden Individuums verstanden werden können.[8] So wurde der Begriff beispielsweise von Bundeskanzlerin Angela Merkel auf dem Nationalen IT-Gipfel 2016 als mögliche "Erweiterung bzw. Erneuerung von Datenschutzkonzepten"[9] ins Spiel gebracht. Letztere könnten sich, so Merkel, lähmend auf die wirtschaftliche Weiterentwicklung in Deutschland auswirken.[10] Der Kulturwissenschaftler und Journalist Stefan Krempl bezeichnet Datensouveränität daher als einen "Lobbybegriff der Datenindustrie"[11], der angesichts des digitalen Wandels in Wirtschaftskreisen und dadurch auch in der Politik in Mode gekommen sei. Was der Begriff in diesen Kontexten konkret meine, bleibe dabei zumeist sehr vage. Weiterhin beschäftigten sich die Bertelsmann Stiftung sowie der Bundesverband Digital Wirtschaft e.V. mit dem Konzept der Datensouveränität als zu erlernende Fähigkeit, die der "'Kontrolle' der eigenen Daten"[12] dienen soll. Im juristischen Kontext greift er auf den staatsrechtlichen Begriff der "Souveränität" (von Staaten) zurück und nähert dieses Konzept einem aus der Menschenwürde der betroffenen Person entwickelten Konzept der Selbstbestimmung an.

Aus diesem Verständnis heraus wurde der Begriff 2017 in eine Stellungnahme des Deutschen Ethikrates übernommen. Diese Stellungnahme bezieht sich auf eine ethische Auslegung des Konzepts als informationelle Freiheitsgestaltung, die wiederum eine interaktive Persönlichkeitsentfaltung von Individuen im Kontext einer verantwortungsvollen Verwendung von Daten durch Dritte mit Rücksicht auf gesellschaftliche "Anforderungen von Solidarität und Gerechtigkeit"[13] meint. Dem Ethikrat geht es anders als in den wirtschaflich motivierten Forderungen nach Datensouveränität darum, "die benannten normativen Grundanforderungen, einschließlich der ethisch wie grundrechtlich fundierten informationellen Selbstbestimmung und damit auch des Datenschutzes, unter den Bedingungen von Big Data zur Geltung zu bringen."[14] Mit dem Begriff der Datensouveränität soll der Fokus auf das informierte Entscheiden und die aktive Teilnahme des Individuums am digitalen Leben gelegt werden. Die Forderung des Ethikrates ist daher, den zunächst neoliberal geprägten Begriff der Datensouveränität auf Basis einer ehtischen Reflexion über die Chancen und über einen möglichen gesellschaftlichen Mehrwert von Big Data im Gesundheitsbereich als informationelle Freiheitsgestaltung zu verstehen. Souveränität dürfe nicht lediglich eine "Beschwörungs- oder Beschwichtigungsformel" bei gleichzeitigem Verlust tatsächlicher Souveränität des Individuums in digitalen Umgebungen bleiben, wie es häufig in neoliberalen Diskursen der Fall sei, in denen entsprechende Kompetenzen inflationär von Bürger_innen gefordert würden.[15] Stattdessen seien laut dem Ethikrat solche ethischen Auffassungen von Souveränität zu bevorzugen, die das souveräne Subjekt nicht als sozial und physisch ungebunden, sondern gemäß der Auffassung informationeller Selbstbestimmung als hochgradig in sozialen Gefügen mit anderen verwoben begreifen.[16] Entsprechend solle mit dem Begriff der Datensouveränität zweierlei festgehalten werden: Einerseits seien "personenbezogene Daten für die Sammler und Nutzer grundsätzlich nur Leihgabe, niemals frei und willkürlich verfügbares Eigentum." Andererseits seien Daten aber auch in das Leben einer Gemeinschaft engebunden, so dass die datengebende Person nicht automatisch und unter allen Umständen selbst über die eigenen Daten verfügen könne.

In der Praxis bedeute dies, dass dem Individuum "weitreichende Kontrollmöglichkeiten"[17] zugesprochen werden müssten. Diese dürften aber nicht allein beim Individuum verbleiben, sondern müssten "zugleich in vielfältige Interaktionszusammenhänge eingebunden"[18] werden, bei denen Big Data betreibende Akteure wie Unternehmen oder Behörden gemeinschaftlich erarbeitete Standards anwenden, die beispielsweise mit Hilfe von gemeinsam in Auftrag gegebenen Software-Systemen kontrolliert und eingehalten werden.

Wonach muss ich fragen?

  • In welchen Kontexten wird mehr Datensouveränität gefordert?
  • Wozu soll die in diesen Diskursen geforderte Datensouveränität beitragen?
  • Wem soll sie nützen?
  • Welcher Begriffsbestimmung liegt Souveränität in diesen Kontexten zugrunde?
  • Sind vage Formulierungen im Spiel?
  • Wird Datensouveränität in den betreffenden Kontexten als eine mögliche Erweiterung oder Erneuerung geltender Datenschutzregelungen angepriesen und worin genau liegt dann ihr Mehrwert?
  • Wird die Rolle von sozialen Gefügen, Institutionen und Unternehmen, sowie von gesetzlichen Vorgaben in der Diskussion berücksichtigt?
  • Werde ich in einer gegebenen Situation in die Lage versetzt, einer Weitergabe meiner personenbezogenen Daten zuzustimmen oder sie zu widerrufen?
  • In welchen Situationen ist die Weitergabe meiner personenbezogenen Daten sinnvoll und dient einem gesellschaftlichen Zweck?
  • Wann muss ich mich einer Erhebung meiner personenbezogenen Daten beugen, obwohl dies weder zu meinem noch zu einem gesellschaftlichen Vorteil geschieht?
  • Zu welchen Daten und Informationen habe ich Zugang?
  • Wie können unter dem Aspekt einer ethisch verstandenen Datensouveränität Kompromisse zwischen dem individuellen Schutz von Privatsphäre und informationeller Selbstbestimmung und den wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, politischen oder wissenschaftlichen Interessen von anderen Akteur_innen erarbeitet werden?
  • Welche Organisationen, Unternehmen oder Parteien sind gewillt, in enger Zusammenarbeit mit anderen politischen Interessen an einer gemeinsamen Lösung zur Ermöglichung von mehr Datensouveränität und informationeller Freiheitsgestaltung zu arbeiten?
  • Was tun die betreffenden Akteur_innen dafür, diesen Dialog zu ermöglichen oder anzustoßen?

Wann ist das wichtig?

Die Fähigkeit zur Datensouveränität wird stets relevant, wenn man als Nutzer_in in digitalen Kontexten über die Verwendung, Verarbeitung oder Weitergabe der eigenen personenbezogenen Daten entscheiden muss, also eine Verwendung erlauben oder verweigern kann oder aber diese Entscheidungsmacht fehlt.

Dass im Zusammenhang mit Diskussionen über Datenschutz sowohl auf Seiten der Datensammler_innen in Wirtschaft und Exekutive als auch auf Seiten von Datenschützer_innen, Verbraucher_innen sowie in ethisch motivierten Diskursen von einer nötig gewordenen Datensouveränität die Rede ist, zeigt einerseits die Notwendigkeit einer differenzierenden Reflexion darüber, in welchen Kontexten der Begriff wie und zur Durchsetzung welcher Interessen definiert wird. Andererseits machen die hier geschilderten Entwicklungen deutlich, dass in all diesen Diskursen um die digitale Transformation eine Diskrepanz zwischen den Anforderungen des Status quo einer digital vernetzten Welt und dem tatsächlich praktizierten Umgang mit diesem wahrgenommen wird. Diese Diskrepanz lässt sich nach einigen Ansichten an wenig zeitgemäßen Datenschutzregelungen und nach anderen an einem Fatalismus ablesen, welcher der Überforderung des Individuums im Angesicht der allgegenwärtigen Datenverarbeitung entspringt.

Die Idee der Datensouveränität setzt hier an. Politische Akteur_innen sehen in ihr eine Möglichkeit, zugunsten wirtschaftlicher Interessen bestehende Datenschutzgesetze zu überarbeiten, sodass technische Innovationen und gewinnbringende Produkte leichter auf den Markt gebracht werden können. Problematisch ist hierbei, dass bisher kein konkreter Vorschlag unterbreitet wurde, wie genau eine solche Datensouveränität juristisch zu fassen ist. Datenschutzrechtler_innen kritisieren, dass der Begriff absichtlich nur vage verwendet würde. Sie sehen die Gefahr darin, dass bestehende Datenschutzrechte, die im Kern den Privatschutz der Bürger_innen bezwecken, durch das Narrativ einer nur scheinbaren Ermächtigung ausgehebelt würden.[19]

Der Vorschlag des Deutschen Ethikrats, Datensouveränität als informationelle Freiheitsgestaltung zu verstehen, ist also durchaus auch eine kritische Antwort auf diese Debatte. Relevant sind seine Ausführungen insbesondere für den Gesundheitsbereich, in welchem Big Data sogar solidarisch genutzt werden kann. Überlegungen zur Datensouveränität müssten daher mit dem Ziel vorgenommen werden, "die Big-Data-spezifischen Potenziale für die medizinbezogene Forschung, die klinische Anwendung und das individuelle Gesundheitsverhalten zu nutzen und die damit einhergehenden Risiken auf ein Minimum zu reduzieren"[20]. So könne Big Data beispielsweise "eine verbesserte Diagnostik, Prädiktion und Therapieplanung ermöglichen"[21]. Die mit der Verwendung von Big Data einhergehenden Gefahren müssten im Konzept der Datensouveränität dann gleichermaßen berücksichtigt werden: Betroffene müssten vor allem vor einer "informationellen Selbstgefährdung geschützt werden, die unter anderem zu Diskriminierung, Stigmatisierung und damit zu negativen Folgen im Sinne der Teilhabe- und Befähigungsgerechtigkeit führen könnten"[22]. So dürfte sich die Verarbeitung gesundheitsbezogener Daten von Betroffenen beispielsweise im privaten Krankenversicherungssektor nicht tariflich zum Nachteil der Kund_innen niederschlagen.[23] Ein detaillierteres Konzept, wie eine Datensouveränität der Bürger_innen praktisch gewährleistet werden könne, ist ebenfalls Bestandteil der Stellungnahme des Deutschen Ethikrates zur Datensouveränität.[24] Der Ethikrat empfiehlt, absolute Verbotsrechte, etwa im Hinblick auf bestimmte Datenkategorien, zu lockern und statt dessen auf den jeweiligen Verwendungszusammenhang abzustellen, dabei gestufte Verfahren der Transparenz, Vertraulichkeit, Datensicherheit und Verfahrensüberwachung bzw. -zertifizierung einzusetzen.

Wie wird der Begriff erfasst/festgelegt?

Sowohl in politischen und wirtschaftlichen als auch in ethischen Diskursen beschreibt der Begriff der Datensouveränität ein Ideal, das einerseits eine Erwartung an Fähigkeiten und Fertigkeiten der Bürger_innen formuliert und andererseits nur unter den Voraussetzungen einer gesellschaftlichen Ordnung möglich ist, deren gemeinschaftlicher und solidarischer Umgang mit Daten von der derzeitigen Praxis deutlich abweicht. Datensouveränität ist daher als solche nicht zu messen, da sich ihre Bedingungen - sofern man der ethischen Auslegung des Begriffs folgt - erst noch zu realisieren haben. Darüber hinaus basiert die Leitidee der Datensouveränität auf der juristischen wie ethischen Grundannahme der informationellen Selbstbestimmung. Datensouverän kann eine Person daher nur sein, wenn geltende Datenschutzrichtlinien sowie ihr Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung nicht durch andere missachtet und nur auf Grundlage eines solidarischen und verantwortungsvollen Gemeinschaftszwecks oder mit ihrer Zustimmung eingeschränkt werden. Solange außerdem Informations- und Machtasymmetrien zwischen Bürger_innen und wirtschaftlichen oder politischen Akteuren es ersteren unmöglich machen, einen Überblick über die tatsächliche Menge sowie die Art der gesammelten Daten und deren Verwendung und Weitergabe zu erhalten, muss das ethische Konzept der Datensouveränität ein Ideal bleiben.

Nicht zuletzt die Unzugänglichkeit dieser Diskurse spielt dabei eine Rolle. Einerseits sind Auseinandersetzungen mit Belangen der Datensammlung in digitalen Umgebungen meist von einem komplexen, technologischen Jargon gekennzeichnet.[25] Andererseits beziehen sich auch Debattenbeiträge wie der Vorschlag des Ethikrates für Bürger_innen beispielsweise spezifisch auf den Gesundheitsbereich, was die notwendige gesellschaftliche Diskussion zu Herausforderungen durch Big Data erschwert.

Es gibt jedoch durchaus Fähigkeiten und nützliches Wissen, die einer völligen Ohnmacht angesichts der hier geschilderten Herausforderungen entgegenwirken und somit einen gleichberechtigten Aushandlungsprozess zwischen den Parteien zugunsten der Interessen von Bürger_innen langfristig begünstigen können. Dafür muss neben allgemeinen Medien- und digitalen Kompetenzen vor allem ein genaueres Verständnis dafür ausgebaut werden, was personenbezogene Daten sind, was sie wert sind, wie sie genutzt werden können und wie sie sowohl juristisch als auch technisch zu schützen sind.[26] Dies kann unter anderem auch eine mögliche Verwendung von technischen Privatsphäre-Tools beinhalten.

In einzelnen Studien wurden hierfür relevante Wissensbereiche untersucht. So nennt eine Studie zur Online-Privatheitskompetenz am Lehrstuhl für Medienpsychologie der Universität Hohenheim[27] vier wichtige Bereiche digitalen Wissens, nämlich Wissen über Praktiken von Institutionen und Online-Dienstanbietern, technisches Wissen, Wissen über Datenschutzrecht und Datenschutzstrategien. Aus den Ergebnissen der Studie geht hervor, dass Nutzer_innen, die einen höheren Online-Kompetenzgrad besitzen, verschiedene Software-Tools zum Schutz ihrer privaten Daten nutzen, anstatt sich aus Sicherheitsgründen von Online-Angeboten zurückzuziehen, also Datensparksamkeit zu praktizieren. Angesichts der sich schnell wandelnden Bedingungen digitaler Umgebungen und sich damit ständig ändernden Anforderungen an solche Werkzeuge stellen die Autor_innen die langfristigen Erfolgschancen derartiger technikbasierter Maßnahmen jedoch in Frage.

Der D21-Digital-Index, der jährlich von der Initiative D21 e.V. unter der Förderung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWE) durchgeführt wird, soll ebenfalls Einblicke in die digitale Souveränität der Bürger_innen geben. Der Index ordnet die Digitalkompetenzen der Befragten anhand verschiedener Faktoren auf einer Skala von 0 bis 100 ein. Laut der Studie des Jahrgangs 2018/2019 liege der deutsche Digital-Index insgesamt bei 55, wobei 79 Prozent der Bevölkerung über einen gewissen bis hohen Souveränitätsgrad verfügten.[28].

Die hier genannten Studien zeichnen sich dadurch aus, dass sie Datensouveränität in erster Linie als eine Fähigkeit oder Fertigkeit verstehen, die sich das Individuum mehr oder weniger eigenverantwortlich aneignen könne. Insofern sind die hier verwendeten Auffassungen von Datensouveränität vom Konzept des Deutschen Ethikrates abzugrenzen. Jüngste Ausführungen der Initiative D21 e.V. aus dem Jahr 2019 erkennen die Gewährleistung von Datensouveränität hingegen bereits als einen "Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge"[29] an. Die hier unterbreiteten Vorschläge zur Neukonzeption bestehender Datenschutzrichtlinien zugunsten von Datensouveränität lassen vermuten, dass dem Konzept in Zukunft auf politischer wie auch auf Ebene der Gesetzgebung verstärkt Aufmerksamkeit gewidmet werden wird.

Welche Bildungsprojekte gibt es dazu?

  • Deutschland sicher im Netz ist eine vom Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) geförderte Informationsseite zur Weiterbildung in Fragen der digitalen Kompetenz für Kinder, Jugendliche und Erwachsene aus unterschiedlichen Bereichen: https://www.sicher-im-netz.de/.
  • Der digitale Patient ist ein Projekt, das sich mit Digitalisierung in der Gesundheitsversorgung auseinandersetzt. Zentral beschäftigt sich das Projekt dabei mit gesellschaftspolitischen (Aus-)Wirkungen der Digitalisierung. Ein Blog bietet hier diverse Artikel zum Thema Kompetenz, Big Data und anderem: https://blog.der-digitale-patient.de/.
  • Das Dossier Open Data der Bundeszentrale für politische Bildung gibt einen Überblick über Nutzen und Risiken des offenen Umgangs mit Daten: https://www.bpb.de/gesellschaft/digitales/opendata/.
  • Das laufende Projekt WerteRadar - Gesundheitsdaten souverän weitergeben ist ein Projekt der Freien Universität Berlin gemeinsam mit der Universität zu Köln, dem Fraunhofer-Institut für Angewandte und Integrierte Sicherheit (AISEC), der Charité - Universitätsmedizin Berlin, und der HRTBT Medical Solutions GmbH mit dem Ziel der Entwicklung einer interaktiven Software für die reflektierte Weitergabe von Gesundheitsdaten: https://www.technik-zum-menschen-bringen.de/projekte/werteradar.


Weiterführende Literatur


Quellenverzeichnis

  1. Horn, Nikolai und Björn Stecher. 2019. "Datensouveränität – Datenschutz neu verstehen." D21 (28.05.). Aufgerufen am 12.05.2020, https://initiatived21.de/publikationen/denkimpulse-zum-innovativen-staat/.
  2. Maas, Heiko. 2015. "EU-Datenschutz-Grundverordnung: Datensouveränität in der digitalen Gesellschaft." Datenschutz und Datensicherheit (DuD) 2021, S. 579.
  3. Krempl, Stefan. 2018. "Datensouveränität: Die Säge am informationellen Selbstbestimmungsrecht." heise online (30.01.). Aufgerufen am 10.08.2020, https://www.heise.de/newsticker/meldung/Datensouveraenitaet-Die-Saege-am-informationellen-Selbstbestimmungsrecht-3953776.html.
  4. Appenzeller, Arno/Bretthauser, Sebastian/Birnstill, Pascal. 2021. "Datensouveränität für Patienten im Gesundheitswesen". Datenschutz und Datensicherheit (DuD) 2021, S. 173.
  5. BMWi Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, 2019, Digitale Souveränität im Kontext plattformbasierter Ökosysteme, Plattform „Innovative Digitalisierung der Wirtschaft“, Fokusgruppe „Digitale Souveränität“ im Rahmen des Digitalgipfels 2019, S. 11; Vgl. Opriel, Sebastian, Schmelting, Jürgen. 2022. "Datensouveränität". In Silicon Economy, herausgegeben von Michael ten Hompel, Michael Henke und Boris Otto, S. 41-54. Springer Vieweg, Berlin, Heidelberg. Aufgerufen am 9.8.2022, https://doi.org/10.1007/978-3-662-63956-6_3
  6. Rusche, Christian. 2022. Einführung in Gaia-X: Hintergrund, Ziele und Aufbau. IW-Report, No. 10/2022, Institut der deutschen Wirtschaft (IW), Köln. Online verfügbar: https://www.econstor.eu/handle/10419/251567
  7. Sevignani, Sebastian. 2018. „Informationelle Selbstbestimmung. Privatheit im digitalen Kapitalismus.“ INDES, 2018 (2): 40-47. Aufgerufen am 21.04.2020, https://doi.org/10.13109/inde.2018.7.2.40, S. 40.
  8. Krempl, Stefan. 2019. "Digitaloffensive: CDU will das Prinzip Datensparsamkeit endgültig entsorgen." heise online (30.09.). Aufgerufen am 10.08.2020, https://www.heise.de/newsticker/meldung/Digitaloffensive-CDU-will-das-Prinzip-Datensparsamkeit-endgueltig-entsorgen-4543180.html.
  9. Deutscher Ethikrat. 2017. Big Data und Gesundheit – Datensouveränität als informationelle Freiheitsgestaltung. Berlin: Deutscher Ethikrat. Aufgerufen am 10.08.2020, https://www.ethikrat.org/fileadmin/Publikationen/Stellungnahmen/deutsch/stellungnahme-big-data-und-gesundheit.pdf, S. 201.
  10. Kleinz, Torsten. 2016. "Digitaloffensive: CDU will das Prinzip Datensparsamkeit endgültig entsorgen." heise online (17.11.). Aufgerufen am 10.08.2020, https://www.heise.de/newsticker/meldung/IT-Gipfel-2016-Merkel-plaediert-fuer-Datensouveraenitaet-statt-Datenschutz-3490629.html.
  11. Krempl, Stefan. 2018. "Datensouveränität: Die Säge am informationellen Selbstbestimmungsrecht." heise online (30.01.). Aufgerufen am 10.08.2020, https://www.heise.de/newsticker/meldung/Datensouveraenitaet-Die-Saege-am-informationellen-Selbstbestimmungsrecht-3953776.html.
  12. Deutscher Ethikrat. 2017. Big Data und Gesundheit – Datensouveränität als informationelle Freiheitsgestaltung. Berlin: Deutscher Ethikrat. Aufgerufen am 10.08.2020, https://www.ethikrat.org/fileadmin/Publikationen/Stellungnahmen/deutsch/stellungnahme-big-data-und-gesundheit.pdf, S. 201.
  13. Deutscher Ethikrat. 2017. Big Data und Gesundheit – Datensouveränität als informationelle Freiheitsgestaltung. Berlin: Deutscher Ethikrat. Aufgerufen am 10.08.2020, https://www.ethikrat.org/fileadmin/Publikationen/Stellungnahmen/deutsch/stellungnahme-big-data-und-gesundheit.pdf, S. 40.
  14. Deutscher Ethikrat. 2017. Big Data und Gesundheit – Datensouveränität als informationelle Freiheitsgestaltung. Berlin: Deutscher Ethikrat. Aufgerufen am 10.08.2020, https://www.ethikrat.org/fileadmin/Publikationen/Stellungnahmen/deutsch/stellungnahme-big-data-und-gesundheit.pdf, S. 40.
  15. Deutscher Ethikrat. 2017. Big Data und Gesundheit – Datensouveränität als informationelle Freiheitsgestaltung. Berlin: Deutscher Ethikrat. Aufgerufen am 10.08.2020, https://www.ethikrat.org/fileadmin/Publikationen/Stellungnahmen/deutsch/stellungnahme-big-data-und-gesundheit.pdf, S. 201.
  16. Deutscher Ethikrat. 2017. Big Data und Gesundheit – Datensouveränität als informationelle Freiheitsgestaltung. Berlin: Deutscher Ethikrat. Aufgerufen am 10.08.2020, https://www.ethikrat.org/fileadmin/Publikationen/Stellungnahmen/deutsch/stellungnahme-big-data-und-gesundheit.pdf, S. 202.
  17. Deutscher Ethikrat. 2017. Big Data und Gesundheit – Datensouveränität als informationelle Freiheitsgestaltung. Berlin: Deutscher Ethikrat. Aufgerufen am 10.08.2020, https://www.ethikrat.org/fileadmin/Publikationen/Stellungnahmen/deutsch/stellungnahme-big-data-und-gesundheit.pdf, S. 203.
  18. Deutscher Ethikrat. 2017. Big Data und Gesundheit – Datensouveränität als informationelle Freiheitsgestaltung. Berlin: Deutscher Ethikrat. Aufgerufen am 10.08.2020, https://www.ethikrat.org/fileadmin/Publikationen/Stellungnahmen/deutsch/stellungnahme-big-data-und-gesundheit.pdf, S. 204.
  19. Krempl, Stefan. 2018. "Datensouveränität: Die Säge am informationellen Selbstbestimmungsrecht." heise online (30.01.). Aufgerufen am 10.08.2020, https://www.heise.de/newsticker/meldung/Datensouveraenitaet-Die-Saege-am-informationellen-Selbstbestimmungsrecht-3953776.html.
  20. Deutscher Ethikrat. 2017. Big Data und Gesundheit – Datensouveränität als informationelle Freiheitsgestaltung. Berlin: Deutscher Ethikrat. Aufgerufen am 10.08.2020, https://www.ethikrat.org/fileadmin/Publikationen/Stellungnahmen/deutsch/stellungnahme-big-data-und-gesundheit.pdf, S. 254.
  21. Deutscher Ethikrat. 2017. Big Data und Gesundheit – Datensouveränität als informationelle Freiheitsgestaltung. Berlin: Deutscher Ethikrat. Aufgerufen am 10.08.2020, https://www.ethikrat.org/fileadmin/Publikationen/Stellungnahmen/deutsch/stellungnahme-big-data-und-gesundheit.pdf, S. 254f.
  22. Deutscher Ethikrat. 2017. Big Data und Gesundheit – Datensouveränität als informationelle Freiheitsgestaltung. Berlin: Deutscher Ethikrat. Aufgerufen am 10.08.2020, https://www.ethikrat.org/fileadmin/Publikationen/Stellungnahmen/deutsch/stellungnahme-big-data-und-gesundheit.pdf, S. 255.
  23. Deutscher Ethikrat. 2017. Big Data und Gesundheit – Datensouveränität als informationelle Freiheitsgestaltung. Berlin: Deutscher Ethikrat. Aufgerufen am 10.08.2020, https://www.ethikrat.org/fileadmin/Publikationen/Stellungnahmen/deutsch/stellungnahme-big-data-und-gesundheit.pdf, S. 255.
  24. Siehe hierzu Kapitel 6 unter dem Titel "Empfehlungen" in Deutscher Ethikrat. 2017. Big Data und Gesundheit – Datensouveränität als informationelle Freiheitsgestaltung. Berlin: Deutscher Ethikrat. Aufgerufen am 10.08.2020, https://www.ethikrat.org/fileadmin/Publikationen/Stellungnahmen/deutsch/stellungnahme-big-data-und-gesundheit.pdf, S. 262.
  25. D’Ignazio, Catherine und Rahul Bhargava. 2015. "Approaches to Building Big Data Literacy." Bloomberg Data for Good Exchange Conference. 28 September, New York City. Aufgerufen am 10.08.2020, https://dam-prod.media.mit.edu/x/2016/10/20/Edu_D'Ignazio_52.pdf, S. 2.
  26. Kirschsieper, Eva-Maria. 2016. "Datensouveränität im digitalen Zeitalter" in Digitale Souveränität. Vertrauen in der Netzwerkgesellschaft, herausgegeben von Mike Friedrichsen und Peter-J. Bisa, 237-246. Wiesbaden: Springer. S. 237.
  27. Masur, Philipp K.; Teutsch, Doris und Sabine Trepte. 2017. "Entwicklung und Validierung der Online-Privatheitskompetenzskala (OPLIS)." Diagnostica, 63 (1): 256-268. Aufgerufen am 10.08.2020, https://doi.org/10.1026/0012-1924/a000179.
  28. Initiative D21 e.V. 2019. D21-Digital-Index 2018/2019. Aufgerufen am 10.06.2020, https://initiatived21.de/publikationen/d21-digital-index-2018-2019/.
  29. Horn, Nikolai und Björn Stecher. 2019. "Datensouveränität – Datenschutz neu verstehen." D21 (28.05.). Aufgerufen am 12.05.2020, https://initiatived21.de/publikationen/denkimpulse-zum-innovativen-staat/, S. 1.

Die erste Version dieses Beitrags beruht auf studentischen Arbeiten im Rahmen des Projekts "Digitale Souveränität" am Institut für Medienrecht und Kommunikationsrecht und am Institut für Medienkultur und Theater der Universität zu Köln.

Zitiervorschlag: Glossar Digitale Souveränität. 2022. „Datensouveränität.“ https://www.bigdataliteracy.net/glossar/. Zugegriffen am tt.mm.jjjj.