Digitalisierung (Medienwissenschaft)

Icon medien kultur wissenschaft.png
Digitalisierung bezeichnet erstens die Überführung analoger in digitale Daten, zweitens in generalisierender Verwendung die Erhebung von Daten überhaupt, drittens die Ausweitung digitaler Datenverarbeitung und viertens den mit dieser Ausweitung verbundenen gesellschaftlichen Wandel.
Dieser Artikel verweist auf folgende weitere Beiträge:
Algorithmic Literacy (Medienbildung), Computer and Information Literacy (Medienbildung), Data Literacy (Medienbildung), Daten (Medienwissenschaft), Digitale Kompetenz (Medienbildung), Medienkompetenz (Medienbildung)

Was bezeichnet dieser Begriff?

Digitalisierung bezeichnet zunächst die Umwandlung analoger in digitale Daten. Digital sind Daten, wenn sie diskret quantitativ gespeichert und damit von digitalen Technologien bearbeitet werden können. So ist zum Beispiel die Überführung eines analog vorliegenden Bilds, etwa einer auf Papier angefertigten Zeichnung oder einer aus einem Filmnegativ entwickelten Fotographie, in ein für Informationstechnologien speicherbares und bearbeitbares Dateiformat, etwa durch einen Scan, eine Digitalisierung.

Im Zuge einer zunehmenden Ausweitung digitaler Datenverarbeitung wird zweitens auch die Erhebung von Daten überhaupt als Digitalisierung beschrieben, indem drittens digitale Technologie zunehmend als Standard für Datenerhebung überhaupt vorausgesetzt wird. So kann nicht nur die Digitalisierung einer analogen Fotographie, sondern einerseits auch die Umstellung von analogen auf digitale Fotoapparate sowie andererseits die Überführung eines Anblicks in eine (immer schon digitale) Fotostrecke als Digitalisierung verstanden werden.

In einem noch weiteren vierten Sinne meint Digitalisierung einen technologisch getriebenen oder begleiteten kulturellen und gesellschaftlichen Wandel, in dem digitale Datenverarbeitung an Bedeutung gewinnt: also jenen Vorgang, der auch als 'digitale Transformation' oder 'digitale Revolution' beschrieben wird. Hiermit einher gehen beispielsweise die großflächige Sammlung digitaler Daten und die zunehmende Notwendigkeit von Kompetenzen, die einen souveränen Umgang mit diesem Wandel fördern. Hierzu zählen neben den umfassenden Begriffen Medienkompetenz oder Digitale Kompetenz auch Teilfertigkeiten wie Data Literacy, Computer and Information Literacy oder Algorithmic Literacy.

Kritisch zu hinterfragen sind Vermischungen dieser vier Begriffsbestimmungen, bei denen etwa die Gleichsetzung von digitalen Daten mit Daten überhaupt oder die scheinbare Selbstverständlichkeit eines technologisch getriebenen gesellschaftlichen Wandels spezifische Machtverhältnisse verdeckt oder als unausweichlich darstellt. Im Englischen wird bisweilen zwischen digitisation im ersten und digitalisation im zweiten bis vierten Sinn des Begriffs unterschieden.

Woher kommt der Begriff?

Der Begriff Digitalisierung leitet sich von digitalen Verfahren ab, die eindeutig und diskret quantifizierbare Daten bearbeiten. Das lateinische Wort digitus, 'Finger', geht in die Wortbedeutung über die eindeutige Abzählbarkeit von Zahlen an ausgestreckten Fingern ein. In vielen Sprachen ist das Wort für Ziffer von digitus abgeleitet, so dass digitale Daten zunächst auch als bezifferbare Daten verstanden werden können. Besonders einflussreich wird diese Vorstellung in der Darstellung binärer Zahlen, die aus den Ziffern 1 und 0 bestehen und für die ausgestreckte und gekrümmte Finger ein einfaches Zeichen sein können. So lässt sich etwa mit fünf Fingern bis 32 zählen. Digitale binäre Codierung liegt der Programmierung datenverarbeitender elektronischer Hardware zugrunde[1] und begründet damit insbesondere die leichte Übertragung von einem Computersystem auf ein anderes.[2]

Der Begriff der Digitalisierung im engeren Sinne ist in der Informationstechnik seit den 1950er Jahren belegt.[3] Die Beschreibung der Digitalisierung als kultureller und gesellschaftlicher Prozess konzipiert diesen zunächst als dritte industrielle Revolution[4], die auf Dampf- und dann strombetriebene physische Maschinisierung folge. Jeremy Rifkin hat diesen Begriff 2011 geprägt und die Datafizierung der Gesellschaft mit der Notwendigkeit für erneuerbare (elektrische) Energie und Verschiebungen im Urheberrecht zugunsten einer so genannten sharing economy verbunden.

Im Gegensatz zu einer Trennung zwischen analogen und digitalen Vorgängen, wie sie in den letzten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts oft beschrieben wurde, kann eine postdigitale Gesellschaft als eine Gemeinschaft beschrieben werden, in denen die Digitalisierung alle Lebensbereiche betrifft und analoge und digitale Handlungskontexte daher nicht mehr streng zu trennen sind. Der auf die Qualität von Daten bezogene, zunächst ästhetisch gefasste Begriff wurde vor allem in der Auseinandersetzung mit der Digitalisierung von Fotokunst und anderen bildenden Künsten geprägt.[5]

Weiterführende Literatur


Quellenverzeichnis

  1. Vergleiche hierzu unter anderem: Shannon, Claude E. und Warren Weaver. 1963. Mathematical Model of Communication. Illinois: University of Illinois Press; Kittler, Friedrich. 1993. "Es gibt keine Software." In Draculas Vermächtnis. Technische Schriften, herausgegeben von demselben, 225-242. Leipzig: Reclam.
  2. Vergleiche Mierau, Caspar C. 2012. "There is no Hardware." In Re-Animationen. Szenen des Auf- und Ablebens in Kunst, Literatur und Geschichtsschreibung, herausgegeben von Ulrike Hanstein, Anika Höppner und Jana Mangold, 311-328. Wien u.a.: Böhlau.
  3. "digitize." Merriam-Webster.com Dictionary, Merriam-Webster. Aufgerufen am 17.08.2021, https://www.merriam-webster.com/dictionary/digitize.
  4. Rifkin, Jeremy. 2011. The Third Industrial Revolution: How Lateral Power Is Transforming Energy, the Economy, and the World. Basingstoke: Palgrave Macmillan.
  5. Pepperell, Robert und Michael Punt. 2000. The Postdigital Membrane: Imagination, Technology and Desire. Bristol: Intellect; Cascone, Kim. 2000. "The Aesthetics of Failure: ‘Post-digital’ Tendencies in Contemporary Computer Music." Computer Music Journal 24(4): 12-18; Bolognini, Maurizio. 2008. Postdigitale. Rom: Carocci.


Die erste Version dieses Beitrags wurde von Stephan Packard im Rahmen des Projekts "Digitale Souveränität" am Institut für Medienrecht und Kommunikationsrecht und am Institut für Medienkultur und Theater der Universität zu Köln erstellt.

Zitiervorschlag: Glossar Digitale Souveränität. 2021. „Digitalisierung (Medienwissenschaft)“ https://www.bigdataliteracy.net/glossar/. Zugegriffen am tt.mm.jjjj.