Echokammer (Medienwissenschaft)

Icon medien kultur wissenschaft.png
Wertende Metapher für einen Verstärkungseffekt im sozialen Raum, bei dem Personen vor allem diejenigen Nachrichten und Informationen nutzen, die ihrer eigenen Meinung und Gesinnung entsprechen. Beschreibt einen Zusammenhang, in dem der Informationsaustausch hauptsächlich zwischen Personen geschieht, die einander besonders ähnlich sind. Echokammern in Sozialen Medien sind laut einigen Wissenschaftler_innen eine der größten Herausforderungenen für heutige Demokratien, weil sie zur Fragmentierung der Gesellschaft und damit zu einer Polarisierung politischer Diskurse beitragen.
Dieser Artikel verweist auf folgende weitere Beiträge:
Algorithmus (Medienwissenschaft), Big Data (Medienwissenschaft), Daten (Medienwissenschaft), Digitalisierung (Medienwissenschaft), Filterblase (Medienwissenschaft), Homophilie (Medienwissenschaft), Meinung (Rechtswissenschaft), Netzwerk (Medienwissenschaft); Öffentlichkeit (Medienwissenschaft)


Was bezeichnet dieser Begriff?

Die Echokammer (engl. echo chamber) ist eine Metapher, die veranschaulichen soll, dass insbesondere in digitalen sozialen Netzwerken hauptsächlich zwischen solchen Personen Informationen ausgetauscht werden, die einander ähneln und einen Großteil ihrer politischen und ideologischen Überzeugungen miteinander teilen.[1] Mit dem Bild der Echokammer soll betont werden, dass die eigenen Meinungen und Überzeugungen durch die spezifische Beschaffenheit des Informationsflusses in sozialen Medien wie ein Echo zu einem zurückkehren und damit fortwährend bestätigt werden. In diesen sogenannten Echokammern zirkulieren nur bestimmte Informationen, ein genereller und übergreifender Austausch ideologisch konträrer Meinungen wird dadurch deutlich erschwert.

Mit der Hypothese der Echokammer soll ein Phänomen der vergangenen zwanzig Jahre beschrieben werden, das nach Ansicht einiger Wissenschaftler_innen durch die verbreitete Verwendung von sozialen Medien und einer damit einhergehenden Verlagerung politischer Diskurse in eine durch diese Medien digital vermittelte Öffentlichkeit hervorgerufen wurde. Als problematisch und für westliche Demokratien herausfordernd gelten diese Entwicklungen deshalb, weil sie eine fortschreitende "Fragmentierung der öffentlichen Aufmerksamkeit und eine daraus resultierende gesellschaftliche Polarisierung von Einstellungen und Präferenzen"[2] verschiedener, politisch vorgeprägter Untergruppen anzeige. Dass diese Beobachtungen mit der Digitalisierung der Medienlandschaft zusammenhänge, habe laut Vertreter_innen der Echokammer-These verschiedene Gründe. So zwinge die schiere Menge ort- und zeitunabhängig zu rezipierender Inhalte die Nutzer_innen dazu, Nachrichten und Informationen selektiv zu nutzen, was dazu führe, dass diese sie der eigenen Weltanschauung entsprechend auswählten (Selective Exposure).[3]

Ein weiterer Aspekt der Bildung von Echokammern ist die auch in anderen Netzwerken zu beobachtende Tendenz von Individuen, sich vor allem mit solchen Individuen auszutauschen, die ihnen in vielerlei Hinsicht möglichst ähnlich sind. Dieses sogenannte Homophilieprinzip besagt, dass Ähnlichkeit in vielen verschiedenen Netzwerken dafür verantwortlich ist, dass Verbindungen und Knotenpunkte entstehen.[4] Im Internetzeitalter treffe diese Tendenz jedoch auf eine nie dagewesene Möglichkeit zur Vernetzung mit Gleichgesinnten sowie zur Stummschaltung und Ausblendung konträrer Meinungen.[5]

Als dritter Grund werden - ähnlich dem Konzept der Filterblase - technische Eigenschaften von sozialen Netzwerken und Suchmaschinen wie zum Beispiel Algorithmen angeführt.[6] Diese fungieren dort als sogenannte 'Gatekeeper', welche Informationen auf Basis der gesammelten Daten über die Nutzer_innen derart vorsortieren, gewichten und aufbereiten, so dass diese nach einigen Auffassungen "in einer endlosen Ich-Schleife einem Informationsdeterminismus"[7] unterlägen.


Woher kommt der Begriff?

Die Metapher der Echokammer wurde erstmals durch den US-amerikanischen Rechtswissenschaftler Cass R. Sunstein in dessen 2001 erschienenem Essay "Echo chambers: Bush v. Gore, impeachment, and beyond" in die Politik- und Kommunikationswissenschaften eingeführt.[8] Erst nach Veröffentlichung seines Buches Republic.com 2.0 im Jahr 2007 fand das Konzept jedoch größere Beachtung. Mit Fokus auf die Vereinigten Staaten beschreibt Sunstein darin die Folgen der durch das Internet entstehenden Echokammern für Gesellschaft und Demokratie.[9]

Seitdem hat das Konzept in kommunikationswissenschaftlichen Diskursen großen Anklang gefunden, wurde aber auch kritisiert. So konnten empirische Untersuchungen die durch die Echokammer implizierten Wirkmechanismen nicht eindeutig belegen.[10] Nutzer_innenbefragungen und -beobachtungen bestätigen zwar, dass einige Menschen Informationen aus Quellen beziehen, die fernab von sogenannten Mainstream-Medien existieren, eine vollkommene informationelle oder kommunikative "Entkopplung" vom öffentlichen Diskurs findet dabei jedoch nicht statt.[11] Im Gegenteil scheinen solche Nutzer_innen sogar häufiger mit einer Vielzahl unterschiedlichster Quellen konfrontiert zu sein.[12] Selektiver Informationszugang ist folglich gegeben, muss aber nicht zwingend in einer Fragmentierung münden, die das Maß, das für gelebte Meinungsvielfalt in einer Demokratie teilweise als wichtig angesehen wird, überschreitet.

Anderes scheint für den Aspekt der Polarisierung zu gelten, der vor allem besonders homophile Gruppen betrifft, also Menschen, die alternative und oft einseitig berichtende und emotionalisierende Quellen konsumieren, die ihre politische Meinung widerspiegeln. Diese ausgeprägte Homophilie scheint in Abhängigkeit von bestimmten politischen Überzeugungen begünstigt zu werden, sie kann aber auch im Zusammenhang mit politischen Großereignissen wie Wahlen oder Krisen stehen, ist deshalb zeitlich variabel und entsprechend schwer auf eine allgemeine Formel zu bringen.[13] Homophilie wirkt also weniger durch Filterung oder Subtraktion abweichender Meinungen, sondern durch massiven, additiven Zuspruch zur eigenen Meinung. Eine verstärkte Polarisierung dieser Gruppen ist in diesen Fällen auch empirisch nachgewiesen, sie kann aber nur schwerlich allein auf Medienkonsum, geschweige denn auf eine problematische Nutzung digitaler Medien wie sozialer Netzwerke zurückgeführt werden. Weitere Faktoren, die einbezogen werden müssten, sind unter anderen gesellschaftsrelevante Ereignisse und Entwicklungen, eine möglicherweise polarisierende Rhetorik in politischen Debatten sowie sozialstrukturelle Gegebenheiten. Naheliegend ist dann auch, dass die Filtersysteme der Netzwerke hier zumindest eine Teilrolle spielen, weil sie homophile Tendenzen verstärken, indem sie neue Inhalte auf Basis des Nutzer_innenverhaltens kuratieren. Studien zeigen aber auch, dass alternative Medien in den meisten Fällen zusätzlich zum konventionellen Informationsangebot genutzt werden, sodass nicht im Sinne der Echokammer von einer Isolierung dieser Gruppen ausgegangen werden kann.[14]

Zu berücksichtigen ist darüber hinaus die starke US-amerikanische Prägung des Begriffs, bei der von einem extrem kommerzialisierten Mediensystem ausgegangen wird, in dem anders als in vielen europäischen Staaten kein thematisch breit gefächerter öffentlich-rechtlicher Rundfunk die Tendenzen selektiver Quellenauswahl durch Nutzer_innen kompensiert.[15]


Weiterführende Literatur

  • Boutyline, Andrei und Robb Willer. 2017. „The Social Structure of Political Echo Chambers: Variation in Ideological Homophily in Online Networks.” Political Psychology, 38(3): 551-569, https://doi.org/10.1111/pops.12337.
  • Colleoni, Elanor; Alessandro Rozza und Adam Arvidsson. 2014. "Echo chamber or public sphere? Predicting political orientation and measuring political homophily in Twitter using big data." Journal of Communication, 64, 317–332, https://doi.org/10.1111/jcom.12084.
  • Dahlgren, Peter. 2005. “The Internet, Public Spheres, and Political Communication: Dispersion and Deliberation.” Political Communication, 22 (2), 147-162, https://doi.org/10.1080/10584600590933160.
  • Mahrt, Merja. 2019. Beyond Filter Bubbles and Echo Chambers: The Integrative Potential of the Internet. Berlin: Digital Communication Research, https://doi.org/10.17174/dcr.v5.0.
  • McPherson, Miller; Lynn Smith-Lovin und James M. Cook. 2001. „Birds of a Feather: Homophily in Social Networks“. Annual Review of Sociology, 27: 415-444, https://doi.org/10.1146/annurev.soc.27.1.415.
  • Messingschlager, Tanja und Peter Holtz. „Filter Bubbles und Echo Chambers.“ In Die Psychologie des Postfaktischen: Über Fake News, „Lügenpresse“, Clickbait & Co., herausgegeben von Markus Appel, 91-102. Berlin, Heidelberg: Springer.
  • Pariser, Eli. 2012. Filter bubble: wie wir im Internet entmündigt werden. München: Hanser.
  • Rau, Jan Philipp und Sebastian Stier. 2019. "Die Echokammer-Hypothese. Fragmentierung der Öffentlichkeit und politische Polarisierung durch digitale Medien?" Zeitschrift für Vergleichende Politikwissenschaft 13: 399–417, https://link.springer.com/article/10.1007/s12286-019-00429-1.


Quellenverzeichnis

  1. Messingschlager, Tanja und Peter Holtz. „Filter Bubbles und Echo Chambers.“ In Die Psychologie des Postfaktischen: Über Fake News, „Lügenpresse“, Clickbait & Co., herausgegeben von Markus Appel, 91-102. Berlin, Heidelberg: Springer, S. 91.
  2. Rau, Jan Philipp und Sebastian Stier. 2019. "Die Echokammer-Hypothese. Fragmentierung der Öffentlichkeit und politische Polarisierung durch digitale Medien?" Zeitschrift für Vergleichende Politikwissenschaft 13: 399–417. Aufgerufen am 02.04.2021, https://link.springer.com/article/10.1007/s12286-019-00429-1, S. 3f. [Kursivierung im Original].
  3. Vgl. Sunstein, Cass R. 2007. Republic.com 2.0. Princeton: Princeton University Press, zitiert nach Rau, Jan Philipp und Sebastian Stier. 2019. "Die Echokammer-Hypothese. Fragmentierung der Öffentlichkeit und politische Polarisierung durch digitale Medien?" Zeitschrift für Vergleichende Politikwissenschaft 13: 399–417. Aufgerufen am 02.04.2021, https://link.springer.com/article/10.1007/s12286-019-00429-1, S. 4.
  4. Während in Netzwerken allgemein von Homophilie die Rede ist, wird in digitalen Kontexten in den vergangenen Jahren vermehrt von Echokammern gesprochen. So zum Beispiel für das Medium Twitter bei Boutyline, Andrei und Robb Willer. 2017. „The Social Structure of Political Echo Chambers: Variation in Ideological Homophily in Online Networks.” Political Psychology, 38(3): 551-569. Aufgerufen am 02.04.2021, https://doi.org/10.1111/pops.12337, S. 1. Für einen kritischen Zugriff auf Homophilie in der Netzwerkforschung im Allgemeinen und in digitalen Netzwerken im Spezifischen vgl. Kyong Chun, Wendy Hui. 2018. "Queerying Homophily. Muster der Netzwerkanalyse." Zeitschrift für Medienwissenschaft, 10 (1): 131-148. Aufgerufen am 02.04.2021, https://doi.org/10.25969/mediarep/2400.
  5. Rau, Jan Philipp und Sebastian Stier. 2019. "Die Echokammer-Hypothese. Fragmentierung der Öffentlichkeit und politische Polarisierung durch digitale Medien?" Zeitschrift für Vergleichende Politikwissenschaft 13: 399–417. Aufgerufen am 02.04.2021, https://link.springer.com/article/10.1007/s12286-019-00429-1, S. 5f.
  6. Rau, Jan Philipp und Sebastian Stier. 2019. "Die Echokammer-Hypothese. Fragmentierung der Öffentlichkeit und politische Polarisierung durch digitale Medien?" Zeitschrift für Vergleichende Politikwissenschaft 13: 399–417. Aufgerufen am 02.04.2021, https://link.springer.com/article/10.1007/s12286-019-00429-1, S. 5f. Vgl. auch Pariser, Eli. 2012. Filter bubble: wie wir im Internet entmündigt werden. München: Hanser.
  7. Rau, Jan Philipp und Sebastian Stier. 2019. "Die Echokammer-Hypothese. Fragmentierung der Öffentlichkeit und politische Polarisierung durch digitale Medien?" Zeitschrift für Vergleichende Politikwissenschaft 13: 399–417. Aufgerufen am 02.04.2021, https://link.springer.com/article/10.1007/s12286-019-00429-1, S. 5f. Vgl. auch Pariser, Eli. 2012. Filter bubble: wie wir im Internet entmündigt werden. München: Hanser.
  8. Vgl. Sunstein, Cass R. 2001. Echo chambers: Bush v. Gore, impeachment, and beyond. Princeton: Princeton University Press.
  9. Vgl. Sunstein, Cass R. 2007. Republic.com 2.0 Princeton, NJ: Princeton University Press.
  10. Vgl. eine knappe Übersicht über den Forschungsstand: Haim, Mario. 2020. "Echokammer." Journalistikon- Das Wörterbuch der Journalistik (10.04.). Aufgerufen am 09.04.2020, https://journalistikon.de/echokammer/.
  11. Vgl. zum Beispiel Bodó, Balázs et al. 2019. "Interested in diversity. The role of user attitudes, algorithmic feedback loops, and policy in news personalization." Digital Journalism 7 (2): 206-29. Aufgerufen am 09.04.2021, https://doi.org/10.1080/21670811.2018.1521292; Bakshy, Eytan; Messing, Solomon; Lada Adamic. 2015. "Exposure to Ideologically Diverse News and Opinion on Facebook." Science 1160 (Mai): 1-2. Aufgerufen am 09.04.2021, https://doi.org/10.1126/science.aaa1160; Fletcher, Richard und Rasmus Kleis Nielsen. 2017. "Are People Incidentally Exposed to News on Social Media? A Comparative Analysis." New Media & Society, Advance online publication. Aufgerufen am 09.04.2021, https://doi.org/10.1177/1461444817724170.
  12. Vgl. Barberá, Pablo. 2015. "How social media reduces mass political polarization. Evidence from Germany, Spain, and the U.S." pablobarbera.com. Aufgerufen am 09.04.2021, http://pablobarbera.com/static/barbera-polarization-social-media.pdf.
  13. Rau, Jan Philipp und Sebastian Stier. 2019. "Die Echokammer-Hypothese. Fragmentierung der Öffentlichkeit und politische Polarisierung durch digitale Medien?" Zeitschrift für Vergleichende Politikwissenschaft 13: 399–417. Aufgerufen am 02.04.2021, https://link.springer.com/article/10.1007/s12286-019-00429-1, S. 10.
  14. Rau, Jan Philipp und Sebastian Stier. 2019. "Die Echokammer-Hypothese. Fragmentierung der Öffentlichkeit und politische Polarisierung durch digitale Medien?" Zeitschrift für Vergleichende Politikwissenschaft 13: 399–417. Aufgerufen am 02.04.2021, https://link.springer.com/article/10.1007/s12286-019-00429-1, S. 13; hierzu außerdem Zuiderveen Borgesius, Frederik J.et al. 2016. "Should we worry about filter bubbles?" Internet Policy Review. Aufgerufen am 09.04.2021, https://policyreview.info/articles/analysis/should-we-worry-about-filter-bubbles.
  15. Rau, Jan Philipp und Sebastian Stier. 2019. "Die Echokammer-Hypothese. Fragmentierung der Öffentlichkeit und politische Polarisierung durch digitale Medien?" Zeitschrift für Vergleichende Politikwissenschaft 13: 399–417. Aufgerufen am 02.04.2021, https://link.springer.com/article/10.1007/s12286-019-00429-1, S. 8.

Die erste Version dieses Beitrags wurde von Vesna Schierbaum im Rahmen des Projekts "Digitale Souveränität" am Institut für Medienrecht und Kommunikationsrecht und am Institut für Medienkultur und Theater der Universität zu Köln erstellt.

Zitiervorschlag: Glossar Digitale Souveränität. 2021. „Echokammer (Medienwissenschaft).“ https://www.bigdataliteracy.net/glossar/. Zugegriffen am tt.mm.jjjj.