Homophilie (Medienwissenschaft)

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Begriff aus der Modellierung von Netzwerken, der ein allgemeines Prinzip beschreibt, wonach Ähnlichkeit die Herstellung von Verbindungen zwischen Knoten in Netzwerken begünstigt. In sozialen Netzwerken beschreibt sie eine entsprechende psychosoziale Tendenz von Individuen, Kontakte mit anderen Individuen zu pflegen, die ihnen in möglichst vielen Merkmalen ähneln.
Dieser Artikel verweist auf folgende weitere Beiträge:
Algorithmus (Medienwissenschaft), Big Data (Medienwissenschaft), Daten (Medienwissenschaft), Echokammer (Medienwissenschaft), Filterblase (Medienwissenschaft), Netzwerk (Medienwissenschaft)


Was bezeichnet dieser Begriff?

Der Begriff Homophilie bezeichnet in der Soziologie die Tendenz von Individuen, Beziehungen mit solchen Individuen einzugehen und zu pflegen, die ihnen besonders ähnlich sind. Dieses Prinzip lässt sich auf verschiedene Arten von zwischenmenschlichen Beziehungen anwenden, so beispielsweise auf Freundschaften, Liebesbeziehungen, die Ehe, die Arbeit, Vereinsmitgliedschaften und nicht zuletzt auf die Follower von öffentlichen Profilen in sozialen Medien wie Facebook, Instagram oder Twitter.

Das Prinzip der Homophlie hat laut einiger Wissenschaftler_innen zur Folge, dass Cluster in Netzwerken in der Regel recht homogen, das heißt gleichmäßig in Hinblick auf die soziodemografischen Eigenschaften der Individuen (Alter, Gender, Religionszugehörigkeit, Bildungsstand usw.) sowie in Bezug auf deren Verhaltensweisen ausfallen.[1] Die Homophiliethese besagt dann, dass Homophilie den Informationsfluss innerhalb dieser Netzwerke wesentlich strukturiert. Homophilie bestimme also im Wesentlichen, "welche Informationen und Nachrichten Individuen erhalten, welche Haltungen sie diesen gegenüber entwickeln und welche Interaktionen sie erfahren."[2]

In der Soziologie ist häufig auch spezifischer von sozialer Homophilie die Rede. Bei der Analyse von digitalen sozialen Netzwerken, beispielsweise auf Twitter oder Facebook, wird hin und wieder auch von politischer oder sogar von ideologischer Homophilie gesprochen, da in diesen Kontexten untersucht wird, inwiefern beispielsweise politische Überzeugungen und individuelle Weltanschauungen beeinflussen, welche Nachrichtenquellen eine Person bezieht, welchen Profilen sie folgt und welche andere Nutzer_innen sie kontaktiert oder möglicherweise blockiert und aus der persönlichen Kommunikation ausschließt.[3] Eine besondere Reichweite hatten in diesem Zusammenhang die beiden Metaphern Echokammer und Filterblase, die beide das Prinzip der Homophilie voraussetzen. Mit ihnen soll in der Regel die Sorge ausgedrückt werden, dass soziale Netzwerke eine Fragmentierung der Gesellschaft bewirken, sodass gesellschaftlicher Konsens nur noch schwer zu erreichen ist.


Woher kommt der Begriff?

Der Begriff Homophilie setzt sich aus den altgriechischen Wortstämmen homos (gleich, ähnlich) und philos bzw. philia (Freund, Freundschaft) zusammen und verweist in dieser Wortbedeutung zunächst allgemein auf das in verschiedensten Kontexten zu beobachtende Prinzip, bei welchem Verbindungen durch Ähnlichkeit entstehen. Das Phänomen, welches bis heute in Form der Redewendung "Gleich und gleich gesellt sich gern" allgemein bekannt ist, wurde bereits in der klassischen Philosophie der Antike, etwa bei Aristoteles und Platon beschrieben.[4]

In den 1920er Jahren erhielt der Begriff erstmals Einzug in die Sozialwissenschaften und in die Psychologie. Verschiedene Wissenschaftler_innen untersuchten hier bereits die Relevanz von Ähnlichkeit bei der Wahl von Freund_innen und Spielkamerad_innen im jungen Kindesalter.[5] Seitdem wird Homophilie in erster Linie als ein Begriff der Netzwerkforschung angesehen, die verschiedene disziplinäre Zugänge zu Netzwerken wie die Zellbiologie, die Soziologie und die Anthropologie umfasst.[6] Dabei stellt die Homophilie sowohl Merkmal als auch Werkzeug und damit den "Kern der gegenwärtigen Konzeption von Netzwerken"[7] dar, wie die Medienwissenschaftlerin Wendy Hui Kyong Chun bemerkt. Homophilie diene nämlich erst als Anhaltspunkt, zunächst gleiche Knoten und Verbindungen innerhalb eines Netzwerks zu differenzieren und zu strukturieren.[8]

Homophilie hat als soziologisches Konzept über die Netzwerkforschung hinaus mit der sich weltweit verbreitenden Nutzung Sozialer Medien in den letzten zwanzig Jahren enorm an Bedeutung gewonnen. In diesen gilt wie tendenziell bereits in analogen Netzwerken, dass Homophilie einen positiven Feedbackeffekt befeuert, also zu mehr Homophilie führt: Befreundete, ähnliche Knoten im Netzwerk legen neue Bekanntschaften mit weiteren, wieder ähnlichen Knoten nahe, so dass Homophilie und Popularität zusammenwirken.[9] So wird beispielsweise mit dem Begriff der Echokammer versucht, die politische Homophilie von Internetnutzer_innen in digitalen Netzwerken zu beschreiben. Diese neigen je nach politischer Einstellung dazu, vor allem mit solchen Profilen anderer Nutzer_innen und Institutionen zu kommunizieren und Informationen auszutauschen, mit denen sie gewisse ideologische und politische Wertevorstellungen und Meinungen teilen.[10] Eine weitere in diesen Zusammenhängen gerne genannte Metapher ist die der Filterblase. Anders als die Echokammer meint diese jedoch eine mit Hilfe von Algorithmen und Big Data technisch induzierte Blase, in die dem Homophilieprinzip entsprechend lediglich Informationen gelangen, die Wertevorstellungen, Vorlieben und Interessen der Nutzer_innen so genau wie möglich entsprechen.

Mit Begriffen wie Echokammer und Filterblase soll im populärwissenschaftlichen Diskurs kritisch hervorgehoben werden, dass soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter eine Segregation, das heißt Teilung der Gesellschaft in verschiedene soziale Untergruppen und deren fortschreitende informationelle Isolierung begünstigen. Damit wird zumeist die Sorge ausgedrückt, dass Nutzer_innen nur noch ein "verzerrtes Bild der Wirklichkeit" kennenlernen, was einen "ausgeglichenen Diskurs" und "demokratische Prozesse" erheblich erschwere[11] und außerdem Hass und Diskriminierung schüre.

Eine nähere Betrachtung des Begriffs der Homophilie rückt diese jüngeren Thesen in einen größeren Kontext. Sie lässt einerseits vermuten, dass bereits vor der Kommerzialisierung des Internets homophile Tendenzen dafür sorgten, dass Gesellschaft nie als Einheit, sondern immer als Konglomerat verschiedenster sozialer Gruppen erschien, die sich nach demographischen Kategorien und nach Aspekten politischer oder ideologischer Gesinnung formierten und voneinander abgrenzten. Im Wesentlichen beruht die repräsentative Demokratie mit ihrem Mehrparteiensystem auf der Anerkennung ebendieser Tatsachen.

Andererseits ist mit Kyong Chun festzuhalten, dass soziale Netzwerke "die von ihnen vermeintlich nur abgebildete Realität" nicht nur erneut hervorbringen, sondern diese auch mitsamt der ihr zugrunde liegenden Voreingenommenheit und Diskriminierung fortspinnen.[12] Die auf Twitter, Facebook und in Suchmaschinen verwendeten Algorithmen basieren auf großen Datenmengen, die wiederum selbst nur durch eine Einteilung von Nutzer_innen anhand von relationalen [[Daten (Medienwissenschaft]|Daten]] wie Likes und einer Zuweisung von Kategorien wie Race, Alter, Gender und anderer vermeintlicher Identitätsmerkmale handhabbar gemacht wurden.[13] Diese Zuweisungen und ihre algorithmische Ausführung reproduzieren nicht nur vermeintlich vorherrschende homophile Tendenzen aus der analogen Realität in den virtuellen Netzwerken, sondern schreiben diesen außerdem existierende diskriminierende Muster ein.

Weiterführende Literatur

  • Boutyline, Andrei und Robb Willer. 2017. „The Social Structure of Political Echo Chambers: Variation in Ideological Homophily in Online Networks.” Political Psychology 38(3): 551-569. https://doi.org/10.1111/pops.12337.
  • Colleoni, Elanor; Alessandro Rozza und Adam Arvidsson. 2014. "Echo chamber or public sphere? Predicting political orientation and measuring political homophily in Twitter using big data." Journal of Communication 64: 317–332. https://doi.org/10.1111/jcom.12084.
  • Kyong Chun Wendy Hui. 2018. "Queerying Homophily. Muster der Netzwerkanalyse." Zeitschrift für Medienwissenschaft 10(1): 131-148. https://doi.org/10.25969/mediarep/2400.
  • Mahrt, Merja. 2019. Beyond Filter Bubbles and Echo Chambers: The Integrative Potential of the Internet. Berlin: Digital Communication Research. https://doi.org/10.17174/dcr.v5.0.
  • McPherson, Miller; Lynn Smith-Lovin und James M. Cook. 2001. „Birds of a Feather: Homophily in Social Networks“. Annual Review of Sociology 27: 415-444. https://doi.org/10.1146/annurev.soc.27.1.415.

Quellenverzeichnis

  1. McPherson, Miller; Lynn Smith-Lovin und James M. Cook. 2001. „Birds of a Feather: Homophily in Social Networks“. Annual Review of Sociology 27: 415-444. Aufgerufen am 05.10.2020, https://doi.org/10.1146/annurev.soc.27.1.415, S. 1f.
  2. McPherson, Miller; Lynn Smith-Lovin und James M. Cook. 2001. „Birds of a Feather: Homophily in Social Networks“. Annual Review of Sociology 27: 415-444. Aufgerufen am 05.10.2020. https://doi.org/10.1146/annurev.soc.27.1.415, S. 415f [Übersetzung V.S.].
  3. Vgl. Boutyline, Andrei und Robb Willer. 2017. „The Social Structure of Political Echo Chambers: Variation in Ideological Homophily in Online Networks.” Political Psychology 38 (3): 551-569. Aufgerufen am 01.04.2021, https://doi.org/10.1111/pops.12337; Colleoni, Elanor; Alessandro Rozza und Adam Arvidsson. 2014. "Echo chamber or public sphere? Predicting political orientation and measuring political homophily in Twitter using big data." Journal of Communication 64: 317–332. Aufgerufen am 01.04.2021, https://doi.org/10.1111/jcom.12084.
  4. McPherson, Miller; Lynn Smith-Lovin und James M. Cook. 2001. „Birds of a Feather: Homophily in Social Networks“. Annual Review of Sociology 27: 415-444. Aufgerufen am 05.10.2020, https://doi.org/10.1146/annurev.soc.27.1.415, S. 416.
  5. Vgl. Freeman, Linton C.. 1996. "Some Antecedents of Social Network Analysis." CONNECTIONS 19(1): 39-42. Aufgerufen am 01.04.2020, http://citeseerx.ist.psu.edu/viewdoc/download?doi=10.1.1.211.8162&rep=rep1&type=pdf.
  6. Kyong Chun, Wendy Hui. 2018. "Queerying Homophily. Muster der Netzwerkanalyse." Zeitschrift für Medienwissenschaft, 10(1): 131-148. Aufgerufen am 01.04.2021, https://doi.org/10.25969/mediarep/2400, S. 135. Vgl. zur Netzwerkforschung Brandes et al. 2013. "What is Network Science?" Network Science 1(1): 1-15. Aufgerufen am https://doi.org/10.1017/nws.2013.2.
  7. Kyong Chun, Wendy Hui. 2018. "Queerying Homophily. Muster der Netzwerkanalyse." Zeitschrift für Medienwissenschaft, 10 (1): 131-148. Aufgerufen am 01.04.2021, https://doi.org/10.25969/mediarep/2400, S. 132.
  8. Kyong Chun, Wendy Hui. 2018. "Queerying Homophily. Muster der Netzwerkanalyse." Zeitschrift für Medienwissenschaft, 10(1): 131-148. Aufgerufen am 01.04.2021, https://doi.org/10.25969/mediarep/2400, S. 132.
  9. Vgl. Liu, Yezheng et al. 2018. "The Competition of Homophily and Popularity in Growing and Evolving Social Networks." Scientific Reports 8, Nr. 15431. Aufgerufen am 15.04.2021, https://www.nature.com/articles/s41598-018-33409-8.
  10. Vgl. Boutyline, Andrei und Robb Willer. 2017. „The Social Structure of Political Echo Chambers: Variation in Ideological Homophily in Online Networks.” Political Psychology, 38 (3): 551-569. Aufgerufen am 01.04.2021, https://doi.org/10.1111/pops.12337; Colleoni, Elanor; Alessandro Rozza und Adam Arvidsson. 2014. "Echo chamber or public sphere? Predicting political orientation and measuring political homophily in Twitter using big data." Journal of Communication 64: 317–332. Aufgerufen am 01.04.2021, https://doi.org/10.1111/jcom.12084.
  11. Messingschlager, Tanja und Peter Holtz. „Filter Bubbles und Echo Chambers.“ In: Die Psychologie des Postfaktischen: Über Fake News, „Lügenpresse“, Clickbait & Co., herausgegeben von Markus Appel, 91-102. Berlin/Heidelberg: Springer, S. 91.
  12. Kyong Chun, Wendy Hui. 2018. "Queerying Homophily. Muster der Netzwerkanalyse." Zeitschrift für Medienwissenschaft, 10 (1): 131-148. Aufgerufen am 02.04.2021, https://doi.org/10.25969/mediarep/2400, S. 134.
  13. Kyong Chun, Wendy Hui. 2018. "Queerying Homophily. Muster der Netzwerkanalyse." Zeitschrift für Medienwissenschaft, 10(1): 131-148. Aufgerufen am 02.04.2021, https://doi.org/10.25969/mediarep/2400, S. 132. Vgl. hier auch die beispielhaft genannten Studien zu diskriminierenden Algorithmen auf S. 133 sowie die Beiträge Algorithmus (Medienwissenschaft)#Wann ist das wichtig? und Big Data (Medienwissenschaft) in diesem Glossar.

Die erste Version dieses Beitrags wurde von Vesna Schierbaum im Rahmen des Projekts "Digitale Souveränität" am Institut für Medienrecht und Kommunikationsrecht und am Institut für Medienkultur und Theater der Universität zu Köln erstellt.

Zitiervorschlag: Glossar Digitale Souveränität. 2021. „Homophilie (Medienwissenschaft).“ https://www.bigdataliteracy.net/glossar/. Zugegriffen am tt.mm.jjjj.