Informationelle Selbstbestimmung (Rechtswissenschaft)

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Das Recht jeder Person, selbst über die Preisgabe und Verwendung der eigenen personenbezogenen Daten zu bestimmen. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung soll gewährleisten, dass auch unter den Bedingungen elektronischer Datensammlung und -speicherung das Grundrecht der Bürger_innen auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit unangetastet bleibt.
Dieser Artikel verweist auf folgende weitere Beiträge:
21st Century Skills (Medienbildung), Big Data (Medienwissenschaft), Daten (Medienwissenschaft), Datenschutz (Rechtswissenschaft), Digitale Kompetenz (Medienbildung), Digitale Selbstbestimmung, Informationelle Selbstbestimmung (Medienwissenschaft), Informationskompetenz (Medienbildung), Öffentlichkeit (Medienwissenschaft), Personenbezogene Daten (Rechtswissenschaft), Überwachung (Medienwissenschaft)

Was bezeichnet dieser Begriff?

Informationelle Selbstbestimmung bezeichnet das Recht jeder Person, selbst über die Preisgabe und Verwendung der eigenen personenbezogenen Daten zu bestimmen. Diese Befugnis betrifft grundsätzlich alle Daten und Informationen, die einer konkreten Person zugeordnet werden können, wie zum Beispiel Name, Bildnis, Alter, E-Mail-Adresse, Anschrift oder Telefonnummer, aber auch Angaben zum Gesundheitszustand, zu Glaube, Familienstand oder Einkommensverhältnissen (siehe personenbezogene Daten).[1] Der rechtswissenschaftliche ist von einem allgemeineren kulturwissenschaftlichen Begriff abzugrenzen.

Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung soll gewährleisten, dass auch unter den Bedingungen von elektronischer Datensammlung und -speicherung das Grundrecht der Bürger_innen auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit unangetastet bleibt. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass mit der Gewinnung und Nutzung bestimmter personenbezogener Daten auch die Einflussmöglichkeiten anderer auf die betroffene Person und deren Verhalten steigen. Denn wenn eine Person nicht abschätzen und beeinflussen kann, "wer was wann und bei welcher Gelegenheit über sie weiß" und "ob abweichende Verhaltensweisen jederzeit notiert und Informationen dauerhaft gespeichert, verwendet oder weitergegeben werden", wird die betroffene Person möglicherweise versuchen, "nicht durch solche Verhaltensweisen aufzufallen"[2]. Diese Effekte werden in philosophischen und soziologischen Diskursen zu Überwachungs- und Kontrollmechanismen den Effekten des Panoptismus zugeschrieben.[3] Sie tragen die Tendenz in sich, die Entfaltungschancen des Individuums in einer Gesellschaft erheblich einzuschränken. Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung soll dies verhindern.

Neben den individuellen Entfaltungschancen soll das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung aber auch das Gemeinwohl schützen. Denn nur selbstbestimmte Menschen sind nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts in der Lage, an der Gesellschaft mitzuwirken und zu einem freiheitlichen, demokratischen Gemeinwesen beizutragen.[4] Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung erlaubt es jedoch nicht, dass jede_r einzelne vollkommen uneingeschränkt über die eigenen Daten herrschen und verfügen kann. Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts befindet sich das Individuum stets in einem Spannungsverhältnis zur Gemeinschaft, sodass personenbezogene Daten stets auch "ein Abbild sozialer Realität"[5] darstellen, deren Gestaltung nicht dem Individuum allein zugeordnet werden kann. Überwiegt das Allgemeininteresse an personenbezogenen Daten, müssen Bürger_innen daher eine gewisse Einschränkung ihres Rechts auf informationelle Selbstbestimmung hinnehmen, sofern diese Einschränkungen auf einer verfassungsmäßigen Grundlage fußen und für die Bürger_innen klar erkennbar sind.

Die informationelle Selbstbestimmung ist ein juristischer Begriff und als solcher von ähnlichen Begriffen abzugrenzen, die wiederum auf unterschiedliche Weise auf ihn Bezug nehmen. Darunter fällt der von der ceres-Forschungsgruppe verwendete Begriff der digitalen Selbstbestimmung. Mit ihm soll zum Ausdruck gebracht werden, dass das vorherrschende juristische Verständnis von informationeller Selbstbestimmung nicht länger ausreicht, um den komplexen Verhältnissen zwischen Individuum, Gesellschaft und digitaler Technologie unter elektronisch vernetzten Lebensbedingungen zu entsprechen.[6] Gemeinsam ist beiden Begriffen wiederum die Betonung des Aspekts der Ermächtigung des Individuums zur freien Persönlichkeitsentfaltung. Dem stehen im Datenschutzrecht verankerte Abwehrrechte gegenüber. Hiermit sollen die Handlungsmöglichkeiten anderer in Bezug auf die Sammlung, Verarbeitung und Weitergabe personenbezogener Daten kontrolliert und eingeschränkt werden. Ein weiteres verwandtes Konzept ist die informationelle Freiheitsgestaltung. Wie die digitale Selbstbestimmung stammt der Begriff aus dem ethischen Diskurs. Mit dem Konzept der informationellen Freiheitsgestaltung wird versucht, ein ideales Zusammenspiel beziehungsweise einen bewussten, aktiven, ausgeglichenen und auf Dialog basierenden Aushandlungsprozess zwischen Individuum und Gemeinschaft bei einer gleichzeitigen ethisch fundierten Verwendung personenbezogener Daten zu beschreiben. Hierbei sollen auf ausgewogene Weise auch Kompetenzen der jeweiligen Akteur_innen zum Einsatz kommen. Auf Seiten des Individuums wären hier zum Beispiel Fähigkeiten wie die Datensouveränität und Kompetenzen wie die Informationskompetenz anzusiedeln. Dem gegenüber stehen Kompetenzen wie Big Data, die von anderen (zum Beispiel von Unternehmen oder vom Staat) eingesetzt werden. Immerhin ist der Grundgedanke einer stetigen Interessensabwägung zwischen Individuum und Gemeinschaft - wie oben beschrieben - bereits im Recht auf informationelle Selbstbestimmung juristisch verankert. Doch betonen die hier aufgeführten ethischen Konzepte die Notwendigkeit, diese Interessenabwägung im Bereich des Digitalen neu zu gestalten.

Woher kommt der Begriff?

Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist eine besondere Ausprägung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Zwar ist es im bundesdeutschen Grundgesetz nicht explizit geregelt, wurde aber im Volkszählungsurteil von 1983 aus dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG) entwickelt und wird seitdem als Grundrecht anerkannt. Damit ist die informationelle Selbstbestimmung neben der Informationsfreiheit und dem Telekommunikationsgeheimnis "das zentrale Grundrecht der Informationsgesellschaft".[7]

Der Begriff fand erstmals in einem Gutachten zu Grundfragen des Datenschutzes vom Juli 1971 Erwähnung, das im Auftrag des Bundesministeriums des Innern "Vorschläge und Anregungen für eine künftige Datenschutzgesetzgebung des Bundes erarbeiten"[8] sollte. Bereits hier definierte der Begriff den Schutz der Bürger_innen vor "unerwünschter Informationsverarbeitung"[9] gemäß des in der Verfassung verankerten Rechts- und Sozialstaatsprinzips und des Grundrechtskatalogs des Grundgesetzes. Sowohl die Ermittlung, Erfassung, Speicherung, Löschung oder Veränderung als auch der Austausch und die Weitergabe von Informationen sollten demzufolge in einem künftigen Gesetz nur dann als rechtlich zulässig gelten, sofern sie nicht zur Herstellung eines umfassenden Persönlichkeitsbildes dienen und damit gegen Artikel 2 Abs. 1 des Grundgesetzes verstoßen.[10]

Als Meilenstein für die Anerkennung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung gilt die Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Dezember 1983. Im Kontext einer für das Frühjahr 1983 vorgesehenen Volkszählung, bei der Beauftragte gemäß den Bestimmungen des Volkszählungsgesetzes im Rahmen einer Von-Tür-zu-Tür-Befragung persönliche Angaben der Bürger_innen erfassen sollten, wurden mehrere Verfassungsbeschwerden gegen das Gesetz erhoben. Am 15. Dezember stellte das Bundesverfassungsgericht die Verfassungswidrigkeit des Volkszählungsgesetzes fest und führte als Begründung hierfür das Recht der Bürger_innen auf informationelle Selbstbestimmung ins Feld. Abgeleitet wurde diese Begründung aus Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) und aus Art. 1 Abs. 1 GG, also aus dem Recht der freien Entfaltung der Persönlichkeit und der Menschenwürde.


Wonach muss ich fragen?

  • Werde ich in einer gegebenen Situation, in der personenbezogene Daten von mir abgefragt werden (beispielweilsweise beim Ausfüllen eines Formulars, bei einer Bestellung im Internet und ähnlichem), über die Verarbeitung (z.B. Speicherung) und ggf. Weitergabe dieser Daten unterrichtet?
  • In welcher Form geschieht diese Unterrichtung?
  • Werde ich in einer gegebenen digitalen Situation von den Betreiber_innen einer Website oder mobilen App, zum Beispiel von öffentlichen Behörden oder privaten Unternehmen, darauf hingewiesen, dass personenbezogene Daten von mir gesammelt und wofür diese verwendet werden (zum Beispiel in Form eines Cookie-Hinweises)?
  • Kann ich dieser Verwendung zustimmen, sie untersagen oder sie meinen Vorstellungen entsprechend regulieren?
  • Weiß ich, in welchen Situationen (beispielsweise bei der Beantragung eines Passes oder bei einer Ummeldung) berechtigterweise personenbezogene Daten von mir abgefragt werden und warum dies notwendig ist?
  • Bin ich mir bewusst, mit welchen technischen Hilfsmitteln Behörden oder Unternehmen Daten in digitalen Umgebungen personenbezogene Daten von mir sammeln (beispielsweise mithilfe von Cookies) und wie diese in etwa funktionieren?
  • Kann ich einschätzen, welche Informationen ein Behörde oder ein Unternehmen als Betreiber_innen bestimmter Internetplattformen wie soziale Netzwerke über mich besitzen?
  • Kann ich diese durch andere gesammelten Daten einsehen und wenn ja, wie?
  • Kann ich einschätzen, wofür diese Daten verwendet werden?
  • Werden meine personenbezogenen Daten auch an Dritte weitergegeben und wenn ja, an wen und zu welchem Zwecke?
  • Wem nützt die Verwendung meiner personenbezogenen Daten?
  • Inwiefern lassen auch Verkehrsdaten Rückschlüsse auf personenbezogene Informationen zu?
  • Wer hat wann berechtigten Zugriff auf meine personenbezogenen Daten oder auf Daten, die meine körperlose Kommunikation mit anderen produziert?
  • Wer darf unter welchen Umständen personenbezogene Daten wie zum Beispiel meine IP-Adresse bei Dritten in Erfahrung bringen?
  • Fühle ich mich durch die dauerhafte Sammlung und Verarbeitung meiner personenbezogenen Daten im Internet unwohl oder in meiner freien Persönlichkeitsentfaltung eingeschränkt?
  • Unter welchen Bedingungen ist die Sammlung, Verarbeitung und Weitergabe meiner personenbezogenen Daten in digitalen Umgebungen durch andere für mich von Vorteil und wann kann sie mir sogar schaden?


Wann ist das wichtig?

Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung hat im Zuge der fortschreitenden Entwicklung moderner, weitestgehend automatisierter Informationsverarbeitungstechnologien in den vergangenen Jahrzehnten sowohl in juristischen, politischen und medienwissenschaftlichen Diskursen als auch für die Lebensrealitäten der Bürger_innen enorm an Relevanz gewonnen. Dabei geraten vermehrt solche personenbezogenen Daten in den Fokus der Debatte, deren Gewinnung zum Zeitpunkt des Volkszählungsurteils von 1983 noch undenkbar waren.

Mithilfe jüngster Technologien können beispielsweise unkörperliche, das heißt auf Telekommunikationstechnologien basierende Kommunikationen, wie E-Mails, SMS, (IP-)Telefonate und Nachrichten über Messenger-Dienste sowie soziale Netzwerke zwischen zwei oder mehreren Personen heutzutage relativ leicht überwacht und die daraus hervorgehenden (Verkehrs-)daten ermittelt, ausgewertet oder an Dritte weitergegeben werden. So ist es dem Bundesnachrichtendienst (BND) in bestimmten gesetzlich geregelten, strafgesetzlich relevanten Situationen erlaubt, Telefonate von Bürger_innen ohne deutsche Staatsangehörigkeit abzuhören oder E-Mails zu überwachen. Solche Maßnahmen unterliegen neben dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung auch dem sogenannten Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis, das im Telekommunikationsgesetz sowie in Teilen auch durch das Strafgesetzbuch geregelt ist. Es kann dann eingeschränkt werden, wenn dies "dem Schutze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder des Bestandes oder der Sicherung des Bundes oder eines Landes" (Art. 10 GG) dient. Bis zuletzt wurden diese Formen der legalen Überwachung jedoch immer wieder heftig kritisiert und unter dem Gesichtspunkt der informationellen Selbstbestimmung sowie des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses in der Öffentlichkeit kontrovers diskutiert. Grund hierfür ist unter anderem die vom Bundesnachrichtendienst durchgeführte Sammlung sogenannter Metadaten aus internationalen Telekommunikationen, die darüber Auskunft geben, "wer wann wo mit wem und wie lange kommunizierte".[11] Als problematisch wird hier vor allem erachtet, dass die betreffenden Metadaten nicht mehr gezielt, also im Falle eines konkreten Verdachts, sondern massenhaft gesammelt werden. So geht aus einem Bericht der Zeit Online im Januar 2015 hervor, dass der Bundesnachrichtendienst täglich bis zu 220 Millionen Telefondaten ermittelt.[12] Auch Verkehrsdaten aus Internetkommunikationen, die auf Geheiß der Regierung über sogenannte "Internet-Austauschknoten"[13] an den BND übergeben werden, dienen in nicht bekanntem Umfang der Ausspähung des internationalen Telekommunikationsverkehrs. Nach Informationen des Bayrischen Rundfunks und des Spiegels sei der BND im Jahr 2020 in der Lage gewesen, täglich auf insgesamt 1,2 Billionen Internet-Verbindungen zuzugreifen. Zwar beabsichtigt der Bundesnachrichtendienst mit der hier geschilderten Datensammlung in erster Linie, Kenntnisse über Fragen der Sicherheits- und Außenpolitik zu gewinnen. Die dabei angewandten Filtersysteme, die für die sofortige Löschung derjenigen Daten zuständig sind, die deutschen Staatsbürger_innen zugeordnet werden können, arbeiten dabei jedoch nicht vollständig fehlerfrei. So kann es in wenigen Fällen dazu kommen, dass beispielsweise Telefongespräche und Nachrichten unrechtmäßig abgehört werden.[14] Brisant ist darüber hinaus, dass ein nicht unerheblicher Teil der gesammelten Metadaten an Dritte, beispielsweise an den US-amerikanischen Geheimdienst NSA, zum Zwecke der Kriegsführung oder der Terrorbekämpfung weitergegeben wird. Dass sich unter den weitergegebenen Daten versehentlich auch Informationen über deutsche Staatsbürger_innen befinden, ist nicht vollständig auszuschließen.[15] Ob und wie die Auswertung und Verarbeitung dieser Daten durch Dritte außerdem kontrolliert wird, kann ebenfalls kaum nachvollzogen werden.

Im Mai 2020 befand das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe die durch den BND ergriffenen Maßnahmen zur Überwachung des internationalen Telekommunikationsverkehrs für zu umfassend und erlegte dem BND auf, künftige Unternehmungen dieser Art einzuschränken und besser zu kontrollieren. So müsse bei der Überwachung von Inlandskommunikation beispielsweise präziser erfasst werden, welchem Zweck die Überwachung diene. Eine "breite und insbesondere 'anlasslose' Überwachung der Datenströme ausländischer Kommunikationsteilnehmer 'im Interesse der außen- und sicherheitspolitischen Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland“[16] bleibe jedoch weiterhin erlaubt. Wenn auch hier stärkere, institutionseigene Kontrollen durchgeführt werden sollen, besteht jedoch "für Betroffene im Ausland praktisch kein Rechtsschutz für BND-Maßnahmen"[17]. Dies betrifft unter anderem ausländische Journalist_innen, deren Pressefreiheit darüber hinaus durch die geheimdienstliche Überwachung gefährdet wird.

Anlass zur Diskussion geben außerdem die bestehenden Regelungen zur Bestandsdatenauskunft. Sie erlauben der Polizei, dem Bundeskriminalamt und Nachrichtendiensten zum Zwecke der Strafverfolgung oder der Terrorabwehr beispielsweise bei Telefongesellschaften und Providern Angaben wie Name, Anschrift und Geburtsdatum, aber auch IP-Adressen der Nutzer_innen abzufragen.[18] Auch diese Regelungen erklärte das Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig, da sie gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung sowie gegen das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses verstoßen.[19] Voraussetzung für eine zulässige Auskunft über Bestandsdaten sei, so die Richter_innen, "das Vorliegen einer konkreten Gefahr oder der Anfangsverdacht einer Straftat"[20]. Bis neue Regelungen erarbeitet werden, längstens bis zum 31.12.2021, gelten die bestehenden Regelungen noch fort.

Die hier genannten Aspekte staatlicher Überwachung veranschaulichen beispielhaft, dass es einer fortwährenden juristischen Überprüfung geltender Datenschutzgesetze bedarf, um den Herausforderungen moderner Überwachungstechnologien und den damit entstehenden Möglichkeiten und Bedürfnissen einer umfassenden Ausspähung von Bürger_innen derart beizukommen, dass das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gewahrt bleibt. Dabei noch nicht berücksichtigt sind hier nicht-staatliche Überwachungsformen wie das sogenannte durch private Unternehmen durchgeführte Tracking, das vor allem im Online-Marketing Anwendung findet und von Tracking-Services wie Google angeboten wird. Durch die Verwendung sogenannter Cookies beispielsweise kann das gesamte Surfverhalten von Internetnutzer_innen aufgezeichnet und über die IP-Adresse des Endgerätes auch auf die jeweilige Person zurückgeführt werden. Die beim Surfen pausenlos und zu Massen erzeugten Daten sind vor allem für private Unternehmen von großem Interesse. Mithilfe dieser Daten kann ein umfassendes Personenprofil über die Nutzer_innen erstellt werden, auf dessen Basis ihnen personalisierte Werbung angezeigt werden kann. Auf diese Weise versuchen Webseiten-Betreiber_innen, Einfluss auf die Interaktion der Nutzer_innen mit der betreffenden Webseite zu nehmen.[21] Wie die durch Cookies gewonnenen Daten zu verwertbaren Informationen über die Person zusammengeführt werden, ist gerade aufgrund der vollständigen Automatisierung dieser Prozesse und der Verwendung von komplexen Algorithmen für die Nutzer_innen kaum mehr nachvollziehbar (zu weiteren Formen des (Self-)Trackings siehe Informationelle Selbstbestimmung (Medienwissenschaft)). Dass diese Formen des Profilings und Targetings Belange der informationellen Selbstbestimmung tangieren, steht hingegen außer Frage, wird hier doch gezielt versucht, das Verhalten der Nutzer_innen zwecks wirtschaftlicher Verwertung der dadurch erzielten Erkenntnisse zu beeinflussen.


Wie wird der Begriff erfasst/festgestellt?

Im Gegensatz zu Begriffen wie den 21st Century Skills, der digitalen Kompetenz oder der Datensouveränität, bei denen vor allem auf Initiative von Unternehmen und Regierungen, aber auch durch Forscher_innen zunehmend Versuche der Messbarmachung durch Standardisierung und Quantifizierung gewisser Fertigkeiten unternommen werden, stellt die informationelle Selbstbestimmung keine Kompetenz dar, die sich ein Individuum im Laufe seines Lebens aneignen kann. Als gesetzlich verankertes Persönlichkeitsrecht gilt die informationelle Selbstbestimmung in Deutschland für jeden Menschen von Geburt an. Sie soll gewährleisten, dass auch Menschen, welche die oben genannten Kompetenzen nicht besitzen, vor einer Einschränkung der freien Persönlichkeitsentfaltung durch willkürlichen Missbrauch der eigenen personenbezogenen Daten durch andere bewahrt werden.

Die rechtmäßige Verarbeitung von personenbezogenen Daten wird auf Ebene nationaler Gesetzgebung im Datenschutzrecht geregelt. Mit dem Begriff des Datenschutzes ist jedoch nicht explizit der Schutz personenbezogener Daten (etwa eines Datenbesitzers oder einer Datenbesitzerin) gemeint, sondern vielmehr der Schutz der informationellen Selbstbestimmung von Betroffenen. "Datenschutz ist daher keine Frage von Verfügungsrechten, sondern der Freiheit"[22] - der freien Entwicklung der Persönlichkeit (siehe auch Informationelle Selbstbestimmung (Medienwissenschaft)).

Für den europäischen Binnenmarkt und die Europäische Union gelten einheitliche und seit 2018 für alle Mitgliedsstaaten verpflichtende Regeln zur Verarbeitung personenbezogener Daten von Bürger_innen. Sie werden in der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) der Europäischen Union aufgestellt. Sie stellt den Aspekt der Transparenz in den Fokus, nach der für Nutzer_innen sowohl nachträglich als auch vorausblickend nachvollziehbar sein muss, wie, wann und warum ihre Daten gesammelt und an Dritte übermittelt werden. Sowohl privatwirtschaftliche Akteur_innen als auch Staaten sowie ihre Untergliederungen sind an die Einhaltung der Vorschriften gebunden und müssen Nutzer_innen in bestimmten Situationen auch eine ordnungsgemäße Einwilligung zur Ermittlung und Speicherung ihrer Daten ermöglichen. Bei Datenschutzverstößen drohen den Betreiber_innen teilweise hohe Bußgelder.[23]

Inwiefern die DSGVO der ethischen und juristischen Leitidee informationeller Selbstbestimmung gerecht wird und die Interessen der Bürger_innen ausreichend schützt, ist Gegenstand kontroverser Debatten sowohl im juristischen, politischen als auch im geistes- und sozialwissenschaftlichen Bereich. Kriterien der Selbstbestimmung des Individuums müssen im Informationszeitalter und angesichts stetigen Technologiefortschritts sowohl von Jurist_innen und Wissenschaftler_innen als auch durch politische und wirtschaftliche Akteur_innen immer wieder neu verhandelt werden. Dass auch Bürger_innen in diese Diskurse mit einbezogen werden müssen, liegt nahe und bedarf einer transparenten Kommunikation kritischer Sachverhalte zu dem Thema, geht es doch um die Selbstbestimmtheit eines_r jeden Einzelnen.


Welche Bildungsprojekte gibt es dazu?

  • Das Dossier "Persönlichkeitsrechte" der bpb bietet einen Überblick über die in Deutschland geltenden Persönlichkeitsrechte und zeigt, wo und wie diese für Bürger_innen gelten. Darunter fällt auch ein Eintrag zur Informationellen Selbstbestimmung: https://www.bpb.de/gesellschaft/digitales/persoenlichkeitsrechte/.
  • Die Ruhr-Universität Bochum (RUB) und der Berufsverband der Datenschutzbeauftragten Deutschlands (BvD) e.V. betreiben das sogenannte "Datenschutz-Wiki", welches relevantes Wissen zum Datenschutz und zur Informationsfreiheit der Öffentlichkeit in kompakter und übersichtlicher Form zur Verfügung stellt. Hier ist ein ausführlicher Eintrag zur Informationellen Selbstbestimmung zu finden, bei dem Schutzbereiche und Probleme zum Thema erläutert und dargestellt werden: https://www.datenschutz-wiki.de/Informationelle_Selbstbestimmung.


Weiterführende Literatur

  • Albers, Marion. 2005. Informationelle Selbstbestimmung. Baden-Baden: Nomos.
  • Becker, Carina. 2019. Das Recht auf Vergessenwerden. Tübingen: Mohr Siebeck.
  • Doerfel, Stephan et al. 2013. Informationelle Selbstbestimmung im Web 2.0. Chancen und Risiken sozialer Verschlagwortungssysteme. Berlin/ Heidelberg: Springer.
  • Efler, Camilla. 2017. Big Data, Google und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung: Lässt sich Marktmacht durch Datenschutzrecht beschränken?. München: Studylab.
  • Friedewald, Michael; Lamla, Jörn und Alexander Roßnagel. 2017. Informationelle Selbstbestimmung im digitalen Wandel. Wiesbaden: Springer Fachmedien.
  • Hoeren, Thomas. 2019. Phänomene des Big-Data-Zeitalters: eine rechtliche Bewertung im wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Kontext. Münster: readbox unipress.
  • Sevignani, Sebastian. 2018. "Informationelle Selbstbestimmung. Privatheit im digitalen Kapitalismus." INDES, 2018 (2): 40-47, https://doi.org/10.13109/inde.2018.7.2.40.
  • Weidner-Braun, Ruth. 2012. Der Schutz der Privatsphäre und des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung am Beispiel personenbezogenen Datenverkehrs im WWW nach deutschem öffentlichen Recht. Berlin: Duncker & Humblot, https://elibrary.duncker-humblot.com/publikation/b/id/33026/.


Einzelnachweise

  1. Bundeszentrale für politische Bildung. 2017. "Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung." Aufgerufen am 13.04.2020, https://www.bpb.de/gesellschaft/digitales/persoenlichkeitsrechte/244837/informationelle-selbstbestimmung.
  2. Bundesverfassungsgericht. 1983. Volkszählungsurteil. Abgerufen am 13.04.2020, https://web.archive.org/web/20101116085553/http://zensus2011.de/fileadmin/material/pdf/gesetze/volkszaehlungsurteil_1983.pdf, S. 45.
  3. Panoptimus umschreibt die vom französischen Philosophen Michel Foucault beschriebene Gefahr, dass moderne Überwachungsgesellschaften durch Mechanismen des "alles Sehenden" eine Disziplinierung des Einzelnen beabsichtigen, vgl. Foucault, Michel. 1975. Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses. Frankfurt: Suhrkamp, S. 78.
  4. Bundesverfassungsgericht. 1983. Volkszählungsurteil. Aufgerufen am 13.04.2020, https://web.archive.org/web/20101116085553/http://zensus2011.de/fileadmin/material/pdf/gesetze/volkszaehlungsurteil_1983.pdf, S. 47.
  5. Bundesverfassungsgericht. 1983. Volkszählungsurteil. Aufgerufen am 13.04.2020, https://web.archive.org/web/20101116085553/http://zensus2011.de/fileadmin/material/pdf/gesetze/volkszaehlungsurteil_1983.pdf, S. 47
  6. Siehe hierzu Woopen, Christiane et al. 2016. Digitale Selbstbestimmung. Köln: Cologne Center for Ethics, Rights, Economics, and Social Sciences of Health (ceres).
  7. Doerfel, Stephan et al. 2013. Informationelle Selbstbestimmung im Web 2.0. Chancen und Risiken sozialer Verschlagwortungssysteme. Berlin/ Heidelberg: Springer, S. 24.
  8. Steinmüller, Wilhelm et al. 1971. Grundfragen des Datenschutzes. Gutachten im Auftrag des Bundesministeriums des Innern. BT-Drs. VI/3826, Anlage 1. Aufgerufen am 13.04.2020, https://dipbt.bundestag.de/doc/btd/06/038/0603826.pdf, S. 6.
  9. Steinmüller, Wilhelm et al. 1971. Grundfragen des Datenschutzes. Gutachten im Auftrag des Bundesministeriums des Innern. BT-Drs. VI/3826, Anlage 1. Aufgerufen am 13.04.2020, https://dipbt.bundestag.de/doc/btd/06/038/0603826.pdf, S. 93.
  10. Steinmüller, Wilhelm et al. 1971. Grundfragen des Datenschutzes. Gutachten im Auftrag des Bundesministeriums des Innern. BT-Drs. VI/3826, Anlage 1. Aufgerufen am 13.04.2020, https://dipbt.bundestag.de/doc/btd/06/038/0603826.pdf, S. 93.
  11. Biermann, Kai. 2015. "Massenüberwachung: BND speichert 220 Millionen Telefondaten – jeden Tag". Zeit Online (30.01.). Aufgerufen am 03.08.2020, https://www.zeit.de/digital/datenschutz/2015-01/bnd-nsa-metadaten-ueberwachung, S. 1.
  12. Biermann, Kai. 2015. "Massenüberwachung: BND speichert 220 Millionen Telefondaten – jeden Tag". Zeit Online (30.01.). Aufgerufen am 03.08.2020, https://www.zeit.de/digital/datenschutz/2015-01/bnd-nsa-metadaten-ueberwachung, S. 1-3.
  13. Meyer-Fünffinger, Arne; Tanriverdi Hakan und Maximilian Zierer. 2020. "Auslandsgeheimdienst. So überwacht der BND das Internet". Tagesschau.de (15.05.). Aufgerufen am 03.08.2020, https://www.tagesschau.de/investigativ/br-recherche/bnd-urteil-101.html.
  14. Meyer-Fünffinger, Arne; Tanriverdi, Hakan und Maximilian Zierer. 2020. " Auslandsgeheimdienst. So überwacht der BND das Internet". Tagesschau.de (15.05.). Aufgerufen am 03.08.2020, https://www.tagesschau.de/investigativ/br-recherche/bnd-urteil-101.html.
  15. Biermann, Kai. 2015. "Massenüberwachung: BND speichert 220 Millionen Telefondaten – jeden Tag." Zeit Online (30.01.). Aufgerufen am 03.08.2020, https://www.zeit.de/digital/datenschutz/2015-01/bnd-nsa-metadaten-ueberwachung, S. 1-3.
  16. Müller-Neuhof, Jost. 2020. "Urteil zur Telekommunikation im Netz. Der BND darf weiter überwachen – in Grenzen." Der Tagesspiegel (19.05.). Aufgerufen am 03.08.2020, https://www.tagesspiegel.de/politik/urteil-zur-telekommunikation-im-netz-der-bnd-darf-weiter-ueberwachen-in-grenzen/25842568.html.
  17. Müller-Neuhof, Jost. 2020. "Urteil zur Telekommunikation im Netz. Der BND darf weiter überwachen – in Grenzen." Der Tagesspiegel (19.05.). Aufgerufen am 03.08.2020, https://www.tagesspiegel.de/politik/urteil-zur-telekommunikation-im-netz-der-bnd-darf-weiter-ueberwachen-in-grenzen/25842568.html.
  18. dpa. 2020. "Entscheidung zu Bestandsdaten. Verfassungsrichter schränken Zugriff auf persönliche Daten ein." Der Tagesspiegel (17.07.). Aufgerufen am 03.08.2020, https://www.tagesspiegel.de/politik/entscheidung-zu-bestandsdaten-verfassungsrichter-schraenken-zugriff-auf-persoenliche-daten-ein/26013532.html.
  19. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 27. Mai 2020, 1 BvR 1873/13, 1-275.
  20. dpa. 2020. "Entscheidung zu Bestandsdaten. Verfassungsrichter schränken Zugriff auf persönliche Daten ein." Der Tagesspiegel (17.07.). Aufgerufen am 03.08.2020, https://www.tagesspiegel.de/politik/entscheidung-zu-bestandsdaten-verfassungsrichter-schraenken-zugriff-auf-persoenliche-daten-ein/26013532.html.
  21. Degeling, Martin. 2016. Online Profiling - Analyse und Intervention zum Schutz von Privatheit. Dissertation, Universität Duisburg Essen. Aufgerufen am 05.08.2020, https://duepublico2.uni-due.de/rsc/viewer/duepublico_derivate_00042397/Diss_Degeling.pdf?page=1, S. 9f.
  22. Doerfel, Stephan et al. 2013. Informationelle Selbstbestimmung im Web 2.0. Chancen und Risiken sozialer Verschlagwortungssysteme. Berlin/ Heidelberg: Springer, S. 23.
  23. Der Bundesbeauftrage für den Datenschutz und die Informationsfreiheit. 2020. DSGVO – BDSG. Texte und Erläuterungen, S. 8. Aufgerufen am 13.04.2020, https://www.bfdi.bund.de/SharedDocs/Publikationen/Infobroschueren/INFO1.html.

Die erste Version dieses Beitrags wurde von Vesna Schierbaum im Rahmen des Projekts "Digitale Souveränität" am Institut für Medienrecht und Kommunikationsrecht und am Institut für Medienkultur und Theater der Universität zu Köln erstellt.

Zitiervorschlag: Glossar Digitale Souveränität. 2021. „Informationelle Selbstbestimmung (Rechtswissenschaft).“ https://www.bigdataliteracy.net/glossar/. Zugegriffen am tt.mm.jjjj.