Mediale Kontrolle (Medienwissenschaft)

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Mediale Kontrolle bezeichnet die Ausübung von Macht über Medien durch Medien, insbesondere die Intervention in Mediengebrauch etwa durch Zensur, den gesteuerten Mediengebrauch etwa durch Propaganda oder den observierten Mediengebrauch etwa unter Überwachung.
Dieser Artikel verweist auf folgende weitere Beiträge:
Daten (Medienwissenschaft), Datenschutz (Rechtswissenschaft), Datensouveränität, Digitale Selbstbestimmung, Informationelle Selbstbestimmung (Rechtswissenschaft), Kontrollverlust (Medienwissenschaft), Öffentlichkeit (Medienwissenschaft), Propaganda (Medienwissenschaft), Überwachung (Medienwissenschaft), Zensur (Medienwissenschaft)

Was bezeichnet dieser Begriff?

Der Begriff der medialen Kontrolle beschreibt das Ausüben von Macht über Medien durch Medien, etwa durch Propaganda, Zensur oder Überwachung. Allgemeiner kann zwischen medialer Kontrolle durch Steuerung von Mediengebrauch, durch Intervention in einen Mediengebrauch oder durch die Observation von Mediengebrauch unterschieden werden. Impliziert ist dabei jeweils die Kontrolle als Maßnahme von außen, die die entsprechende Machtausübung zugleich als Eingriff ausweist und entweder legitimiert oder delegitimiert (Exteriorität) sowie eine zugrundeliegende Formung aller Kommunikation durch Spielregeln, die von Grammatik bis zur Gesetzgebung reichen und die sehr unterschiedlich ausfallen können, aber nie ganz fehlen (Ubiquität).

Typisch ist die Verdoppelung der ausgeübten Kontrolle: Indem Medien zu einem Machtinstrument werden, wird zunächst der Mediengebrauch kontrolliert, um sodann über diesen einen anderen Teil menschlichen Verhaltens zu regulieren: So wird eine Überwachungskamera kontrolliert, um das Verhalten der von ihr aufgezeichneten Personen unter Kontrolle zu bringen; eine Propagandabehörde kann eine Zeitung zur Publikation gefälliger Inhalte zwingen, um das Verhalten der Bevölkerung zu beeinflussen; eine Zensurbehörde unterdrückt missfällige Inhalte mit demselben Ziel. In allen diesen Fällen bemächtigt sich die Kontrolle zunächst der Macht über Medien, um dann durch diese Medien weitere Macht auszuüben. Die Gesetzmäßigkeiten des jeweiligen Mediensystems sind so jeweils doppelt von medialer Kontrolle betroffen.

Eine wiederkehrende Erfahrung im Umgang mit neuesten Medien ist als Kontrollverlust beschrieben worden. Digitale Souveränität ist häufig als Abwehrbegriff gegen die Erfahrung des digitalen Kontrollverlusts gefasst worden, so etwa in den Diskussionen um Datensouveränität, digitale Selbstbestimmung und informationelle Freiheitsgestaltung. In Anlehnung an Püschel[1] lassen sich diese Versuche, mediale Kontrolle wiederherzustellen, nach ihrer Ansiedlung an der sozialen Dimension ego/alter, also beim betroffenen Subjekt (ego) oder bei seinem persönlichen oder korporierten Gegenüber (alter), ansiedeln: Während digitale Selbstbestimmung als Zuspitzung der informationellen Selbstbestimmung bei den Rechten der einzelnen Subjekte ansetzt, soll Datensouveränität deren Kompetenzen so entwickeln, dass sie diese Rechte nutzen und verteidigen können. Andererseits erlegt der Datenschutz den anderen Akteuren in der Gesellschaft Handlungsgrenzen auf. Das Zusammenspiel beider wird in der informationellen Freiheitsgestaltung verhandelt.

Woher kommt der Begriff?

Der Begriff der Kontrolle stammt von dem französischen contrôle (contre = gegen und rôle = Rolle, Register) ab. Es ist ursprünglich ein Wort für ein Gegenregister zur Nachprüfung von Angaben und Daten. Der Begriff wurde erstmals im 19. Jahrhundert benutzt. Michael Seemann beschreibt den Begriff auf dieser Grundlage als ein Register oder Archiv, welches zum Abgleich von Soll und Sein fungiert und ein Gegenregister, dass den Ist-Zustand wiederspiegelt, entgegengestellt wird.[2] Das Gegenregister ist somit eine externalisierte Form von Kontrolle und Macht und bildet die Grundlage zu dessen Ausübung.

Noam Chomsky hat den Begriff der 'medialen Kontrolle' 1989 als 'Media Control' geprägt.[3] In Anlehnung an das oben beschriebene Propagada-Modell führt Chomsky dabei zwei Funktionen manipulativer Medienverwendungen zusammen: Journalismus unter medialer Kontrolle diene zum einen als Mittel der Außenpolitik, um fremde Bevölkerungen in Dissens zu ihren Regierungen zu bringen, zum anderen zur Produktion von Konsens in der eigenen Machtsphäre. Diese explizit anarchistische Position, die jede Funktionalisierung von Kommunikation für staatliche Interessen (und nicht nur für jene der Regierung) ablehnt, wird in der jüngeren Forschung zu Propaganda, Zensur und Überwachung differenziert.

Wonach muss ich fragen?

  • Wie sind die Besitzverhältnisse eines Mediums, das ich rezipiere? Welche sind die Interessen der_die Eigentümer_innen?
  • Welche Firmen werben in dem Medium und welche Zensur entsteht dadurch automatisch?
  • Von welchen Quellen stammen die gegebenen Informationen?
  • Wie wird auf Abweichungen reagiert? Werden diese vielleicht sogar bestraft?
  • Gilt Meinungsfreiheit in diesem Medium?
  • Werden Grenzen in Bezug auf Meinungen gesetzt? Wird ein gewisses Feindbild aufrechterhalten?
  • Wie bin ich zu dem Medium gelangt? Bin ich dabei schon durch die mir zur Verfügung gestellten Informationen eingeschränkt worden?
  • Wie hoch ist mein eigener Einfluss auf die Medien? In welcher Form tritt dieser Einfluss in Erscheinung?
  • Welche historischen Ereignisse und Personengruppen könnten dieses Objekt beeinflusst, gesteuert oder zensiert haben?
  • Ist die zensierende Instanz auf den eigenen Vorteil gerichtet oder entstammt sie dem gesellschaftlichen Gesamtinteresse?
  • Welche Vorteile zieht die zensierende Instanz aus den von ihr erschaffenen Wahrheiten?
  • Welche Stellung nimmt die Instanz innerhalb des Diskurses ein? Kontrolliert sie von außen (beispielsweise der Staat) oder findet die Kontrolle innerhalb des Mediums statt (zum Beispiel die interne Redaktion)?
  • Welchen Einfluss könnte eine unbemerkte Zensur der mir zur Verfügung stehenden Informationen auf mein eigenes Verhalten haben?

Wann ist das wichtig?

Das Bewusstsein über die Präsenz einer kontrollierenden Instanz über die herausgegebenen Informationen ist eine wichtige Grundvoraussetzung, um sich ein eigenes kritisches Bild von gesellschaftsformenden Informationen zu machen. Es ist somit stets wichtig, kritisch zu hinterfragen, welche Intentionen Verfasser_innen haben, welche politischen Beweggründe und welche Institutionen hinter ihnen stehen.

In der Umsetzung dieser kritischen Fragehaltung geht es regelmäßig darum, welcher Quelle man vertrauen will. Chomsky und Herman etwa nennen als Beispiel für eine massiv kontrollierte mediale Berichterstattung die US-amerikanische Kriegsführung in Nicaragua. Die USA griffen militärisch in den Krieg ein und verhinderten nach Chomskys und Hermans Ansicht gezielt eine nicht-militärische Lösung. Man hätte den Einsatz demnach selbst als Terrorismus brandmarken können; stattdessen wurde er in US-amerikanischen Medien als Krieg gegen Terrorismus bezeichnet.[4] Die Autoren beziehen sich dabei auf alternative, teils lateinamerikanische, teils kommunistische Staatsquellen. Die eigene politische Position wird diese Vertrauensentscheidungen formen. Eine genauere Untersuchung medialer Kontrolle im Einzelfall soll andererseits die Entscheidung, welcher Quelle zu vertrauen sei, informieren.

Wie wird der Begriff erfasst?

Für die Beschreibung und Erforschung medialer Kontrolle sind verschiedene Modelle entwickelt worden. Das Propagandamodell von Noam Chomsky und Edward S. Herman beschreibt den manipulativen Einfluss von Massenmedien zu Gunsten von verschiedenen politischen oder wirtschaftlichen Gruppen. Es stellt dar, wie insbesondere Nachrichtenmedien auch ohne zentralisierte Kontrolle ein Beeinflussungssystem bilden können, welches die Öffentlichkeit manipulieren kann, während gleichzeitig der Anschein einer objektiven Berichterstattung produziert wird. Die Bevölkerung nimmt dabei weder Manipulation noch Propaganda wahr.[5] Herzstück dieser Theorie ist ein Konzept von fünf Filtern, die die objektive Darstellung der Realität einschränken; hier wird die Verschränkung von Propaganda und Zensur in einem übergreifenden System medialer Kontrolle deutlich. In diesem Modell ist die Rede von fünf Filtern, die aus ökonomischen, politischen oder militärischen Zwängen heraus entstehen (Vergleiche die ausführlichere Darstellung im Beitrag zu Propaganda).

In der Diskursanalyse nach Michel Foucault wird angenommen, dass alle menschlichen Äußerungen immer schon in Machtverhältnissen impliziert und durch diese geformt sind. Für Foucault beschreibt der Diskurs die Möglichkeitsbedingungen, nach denen bestimmte Äußerungen möglich oder unmöglich werden.[6] Zum einen ist jeder Diskurs von Grenzen des Sagbaren, von Regeln und Ansprüchen durchzogen, die eine Äußerung möglich oder unmöglich machen können; es ist also nicht jeder Diskurs unter jeder Machtbedingung möglich. Zum anderen aber ist ebenso zu fragen: welche Machtbedingungen werden durch welche Diskurse möglich? Insbesondere beschreibt Foucault Formationen, durch die bestimmte Gegenstände benennbar werden (wie kann beispielsweise Zurechnungsfähigkeit festgestellt werden?), durch die bestimmte Subjekte in die Position kommen, legitime Urteile zu fällen (wer kann beispielsweise Unzurechnungsfähigkeit diagnostizieren?), durch die Begriffe miteinander verschränkt werden (wie hängen beispielsweise Zurechnungsfähigkeit und Strafbarkeit zusammen?) und durch die sich Diskurse strategisch auf andere Diskurse beziehen (wie verhalten sich in diesem Beispiel Medizin und Recht zueinander?).[7] Die weitreichenden Implikationen dieser Machtverhältnisse erstrecken sich auf die Produktion von Wissen und die Konstruktion von Wahrheitsbedingungen, aber auch auf die individuelle und kollektive Subjektivierung der Personen, die sich unter diesen Formationen äußern.

Steht nach den Vorstellungen der Diskursanalyse jeder Diskurs in jeder Disziplin ständig unter impliziter Kontrolle, so lässt sich umgekehrt nach den Kontrolldiskursen fragen, in denen Kontrolle explizit verhandelt wird, also der Summe juridischer, legislativer, exekutiver, politischer, propagandistischer, feuilletonistischer, interpretierender, kritischer, ästhetischer, philosophischer und anderer Äußerungen und Äußerungsmöglichkeiten, die mediale Kontrolle beschreiben, vorschreiben oder umsetzen.[8] Gegenstand der Untersuchung ist dann etwa, wie Zensor_innen über eine mögliche Intervention in einen Mediengebrauch beraten und welche Theorie über die so kontrollierten Medien sie dabei zu Grunde legen.

Der an die diskursanalytischen Vorstellungen von medialer Kontrolle eng anschließende Begriff des Silencing beschreibt Prozesse, in denen bestimmte Äußerungsmöglichkeiten ohne explizite Regeln aus dem Diskurs ausgeschlossen werden. Es handelt sich um eine implizite Spielart der Zensur.

Welche Bildungsprojekte gibt es dazu?

  • Der Blog Ctrl-Verlust des Medienwissenschaftlers Michael Seemann beschäftigt sich mit dem Kontrollverlust im Internet: https://www.ctrl-verlust.net/.


Weiterführende Literatur

  • Herman, Edward S. und Noam Chomsky. 1988. Manufacturing Consent: the political economy of the mass media. New York: Pantheon Books.
  • Foucault, Michel. 1971. L'ordre du discours: Leçon inaugurale au Collège de France prononcée le 2 décembre 1970. Paris: Gallimard. Für die deutsche Übersetzung siehe Foucault, Michel. 1998. Die Ordnung des Diskurses. Frankfurt am Main: Fischer.

Quellenverzeichnis

  1. Püschel, Florian. 2014. "Big Data und die Rückkehr des Positivismus. Zum gesellschaftlichen Umgang mit Daten." Mediale Kontrolle unter Beobachtung 3.1. Augerufen am 29.06.2021, http://www.medialekontrolle.de/wp-content/uploads/2014/09/Pueschel-Florian-2014-03-01.pdf, S. 15.
  2. Seemann, Michael. 2012. "Kontrolle und Kontrollverlust". Mediale Kontrolle unter Beobachtung, 1.1 (April). Aufgerufen am 25.05.2020, http://www.medialekontrolle.de/wp-content/uploads/2012/04/Seemann-Michael-2012-4.pdf, S. 2.
  3. Chomsky, Noam. 2002. Media Control. New York: Seven Stories Press.
  4. Herman, Edward S. und Noam Chomsky. 1988. Manufacturing Consent: the political economy of the mass media. New York: Pantheon Books, S. 1-31.
  5. Herman, Edward S. und Noam Chomsky. 1988. Manufacturing Consent: the political economy of the mass media. New York: Pantheon Books, S.1ff.
  6. Foucault, Michel. 1971. L'ordre du discours: Leçon inaugurale au Collège de France prononcée le 2 décembre 1970. Paris: Gallimard.
  7. Foucault, Michel. 2008 [1969]. L'archeologie du savoir. Paris: Gallimard.
  8. Packard, Stephan. 2012. "Draußen und Überall. Zwei heuristische Begriffe zur Diskursanalyse medialer Kontrolle". Mediale Kontrolle unter Beobachtung, 4.2: Freies Hören. Aufgerufen am 25.05.2020, http://www.medialekontrolle.de/wp-content/uploads/2012/12/Packard-Stephan-2012-12.pdf.


Die erste Version dieses Beitrags beruht auf studentischen Arbeiten im Rahmen des Projekts "Digitale Souveränität" am Institut für Medienrecht und Kommunikationsrecht und am Institut für Medienkultur und Theater der Universität zu Köln.


Zitiervorschlag: Glossar Digitale Souveränität. 2021. "Mediale Kontrolle (Medienwissenschaft).“ https://www.bigdataliteracy.net/glossar/. Zugegriffen am tt.mm.jjjj.