Medienmündigkeit (Medienbildung)

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Medienmündigkeit bezeichnet das Vermögen eines Individuums, Medien so zu nutzen, dass seine Fähigkeit zu selbstbestimmtem Handeln und autonomem Denken nicht beeinträchtigt wird. Medienmündigkeit ist ein wichtiger Begriff in der Mediensuchtprävention.
Dieser Artikel verweist auf folgende weitere Beiträge:
Informationelle Selbstbestimmung (Medienwissenschaft), Medienkompetenz (Medienbildung)

Was bezeichnet dieser Begriff?

Medienmündigkeit bezeichnet das Vermögen eines Individuums, Medien so zu nutzen und sich in medialen Umwelten so zu bewegen, dass seine Fähigkeit zu selbstbestimmtem Handeln und autonomem Denken nicht beeinträchtigt wird. Im Gegensatz zu einem verbreiteten Verständnis von Medienkompetenz beschreibt die Medienmündigkeit damit keinen festen Wissens- und Fertigkeitsbestand, den jedes Individuum erlernen muss. Vielmehr hängt die Medienmündigkeit einer Person stark von deren sozialem Umfeld, deren Persönlichkeit und dem je spezifischen Grad ihrer Reifung ab, die sie auf ihrem Weg zur Selbstbestimmtheit besitzt. Eine auf Medienmündigkeit abzielende Erziehung muss diese Aspekte in der Beurteilung der konkreten Mediennutzung zunächst kontextabhängig antizipieren, um den für das Individuum geeigneten Weg zu einer mündigen Mediennutzung auszumachen.

Woher kommt der Begriff?

'Mündigkeit' bezeichnet zunächst im weiteren Sinn das Vermögen einer Person, in jeder Hinsicht - politisch, wirtschaftlich, gesellschaftlich, geistig und moralisch - selbstbestimmt zu denken und zu handeln.[1] Sie beschreibt damit einen Zustand der Unabhängigkeit und Autonomie[2], den ein Mensch im Zuge seines Erwachsenwerdens erreichen kann. Der Begriff wird oft synonym für die im Recht verankerte Volljährigkeit eines Menschen verwendet, der mit Eintritt ins Erwachsenenalter vollständig für seine Taten verantwortlich und damit haftbar gemacht werden kann.[3] Ursprünglich geprägt wurden gegenwärtige Vorstellungen von Mündigkeit im Zuge der Aufklärung, etwa bei Immanuel Kant, der die Aufklärung als einen Weg der Emanzipation aus der Unmündigkeit begreift: "Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen" (ebenfalls im Kontext der Medienbildung siehe 'digitale Aufklärung').[4] Der mittelhochdeutsche Wortstamm 'Mund' oder 'Munt' verweist seit dem 9. Jahrhundert auf den 'Schutz' oder die 'Bewahrung' eines_r Schutzbefohlenen. Entsprechend ist mündig, "wer reife Urteilsfähigkeit erlangt hat, so dass er des Schutzes durch den Vormund nicht mehr bedarf, sondern selbst für sich eintreten, sich selbst schützen kann."[5]

Der Begriff der Medienmündigkeit wurde erstmals Ende der 1990er Jahre durch die Klagenfurter Arbeitsgruppe Medienerziehung um den Medienpädagogen Walter Schludermann in den deutschsprachigen Diskurs eingeführt. Wie auch bei der Medienbildung wird die Mündigkeit zur Zielkategorie, jedoch werden die daraus abgeleiteten Handlungsempfehlungen weniger von den Medien ausgehend formuliert, sondern befragen vielmehr "die Bedeutung der Medien für das jeweilige Subjekt"[6]. Schludermann grenzt den Begriff der Medienmündigkeit daher von dem geläufigeren Begriff der Medienkompetenz ab, der im Gegensatz dazu einen festen Wissens- und Kompetenzbestand im Umgang mit Medien bezeichne, während sich die medienmündigen Fertigkeiten und Verhaltensweisen in jedem Handlungskontext neu bewähren müssten.[7] Dabei stehen die zentralen Aspekte "Selbstbestimmung und soziale Verantwortung"[8] im Fokus. Ebenso muss der Begriff damit von einem engeren Verständnis von 'Mündigkeit' als politischem und rechtlichem Begriff abgegrenzt werden, der auch die anerkannte Kompetenz zur Selbstbestimmung meint, wie er etwa in den Begriff der Digitalen Mündigkeit eingegangen ist.

In Deutschland hat darauffolgend insbesondere die Medienpädagogin Paula Bleckmann entscheidend zu der Begriffsdefinition beigetragen. Die Stärken des Begriffs der Medienmündigkeit gegenüber jenem der Medienkompetenz sieht sie darin, dass bei der Erwägung der Medienmündigkeit die Mediennutzung und die entsprechenden medienpädagogischen Maßnahmen an Alter und Reifegrad des Kindes und späteren Erwachsenen angepasst werden können. Damit sei der Weg zur Medienmündigkeit ein individueller Weg, der davon abhänge, wie selbstbestimmt das Individuum Medien zu nutzen in der Lage sei.[9] Medienmündigkeit sei deshalb insbesondere eine Frage des "Zeitlassens und Raumgebens im Verlauf der Ausbildung einer Persönlichkeit"[10].

Wonach muss ich fragen?

  • Wird bei der medienpädagogischen Förderung einer Person deren Alter, Persönlichkeit und soziales Umfeld berücksichtigt?
  • Ist die medienpädagogische Förderung und Bildung dazu geeignet, der betreffenden Person zur Formulierung und Verfolgung eigener Ziele und zur Fähigkeit zu selbstbestimmten Entscheidungen und zum autonomen Handeln zu verhelfen?
  • Sind die verwendeten Medien der Selbstbestimmung und Autonomie der betreffenden Person dienlich oder hinderlich?
  • Wie wird im Fall einer Mediensucht mit den betreffenden Medien verfahren?

Wann ist das wichtig?

Medienmündigkeit soll ein selbstbestimmtes Agieren mit Medien fördern, das beispielsweise das Verfolgen eigener Ziele ermöglicht. In Fachdiskursen steht dabei jedoch insbesondere die Vorbeugung gegen Medienabhängigkeit von Kindern und Jugendlichen im Vordergrund, da diese die Fähigkeit des Individuums zum selbstbestimmten und autonomen Denken und Handeln einschränke, weswegen Medienmündigkeit zum Leitbegriff der Prävention geworden ist.[11] Dabei gehe es, so Bleckmann, nicht nur um die bloße Vermeidung von Suchtverhalten, beispielsweise der Computerspielsucht. Das betreffende Medium dürfe nicht einfach aus dem Umfeld der Person herausgelöst werden, sondern es müsse vor allem der Fokus auf die Förderung von einem verantwortungsbewussten Umgang mit diesem Medium unter Rücksichtnahme auf das soziale Umfeld und die spezifische Persönlichkeit des Kindes gelegt werden.[12]

Wie wird der Begriff erfasst/festgestellt?

Insbesondere bei Bleckmann wird der kritische Zeitfaktor betont, der eine Medienabhängigkeit anzeigt. Medienmündigkeit bedeute im Umkehrschluss "zuallererst nicht die Kontrolle über unsere kostbare Lebenszeit zu verlieren" und "souverän über die eigene Zeit" verfügen zu können. Ziel einer pädagogischen Förderung von Medienmündigkeit sei entsprechend die Förderung von "Zeitsouveränität"[13], mit der das Individuum im Erwachsenenalter selbst einschätzen und entscheiden könne, wie viel Lebenszeit er_sie mit der Mediennutzung verbringe. Bis dahin sei es für den Umgang mit Medien notwendig, "Fähigkeiten zur aktiven, kreativen, dosierten, kritisch-reflektierten und technisch versierten Nutzung sowie Fähigkeiten zur Vermeidung von Nutzungsrisiken erworben"[14] zu haben.

Unter der Leitung von Paula Bleckmann wurde im Frühjahr 2021 eine Studie zum Thema „Mündigkeit und Digitalisierung“ – die sogenannte „MünDig Studie“ durchgeführt, bei der 1.400 pädagogische Fachkräfte, 3.000 Eltern und 500 Schüler_innen reformpädagogischer Einrichtungen, das heißt von Waldorf- und Montessorischulen befragt wurden. Bisher wurden daraus lediglich Teile der Elternbefragung veröffentlicht (Stand November 2021). Demnach bewerten Montessori- und Waldorfeltern die Praxis an den Bildungseinrichtungen ihrer Kinder insgesamt positiv: Mit dem Teil der Medienerziehung, der ohne Bildschirm (Tablets, Computer & Co.) auskommt, sind im Durchschnitt 90 Prozent der Befragten zufrieden, bei der Medienerziehung mit Bildschirm sind es 69 Prozent. Den Ergebnissen der Studie nach zu urteilen, wünschen sich Eltern eine den Altersgruppen ihrer Kinder angemessene pädagogische und technische Unterstützung zur "Installation von Zeitbegrenzungs- oder Filtersoftware". Darüber hinaus wünschen sich viele eine besser an das Alter der Kinder angepasste Verwendung von Bildschirmmedien im Unterricht, wobei ältere Kinder stärker mit solchen Medien konfrontiert werden sollen als jüngere. Entsprechend kritisieren 39 Prozent der befragten Eltern von Oberstufenschüler_innen den verhaltenen Einsatz von audiovisuellen Medien im Unterricht, gerade im Hinblick auf die Aufbereitung und Präsentation von Lernergebnissen.[15]

Welche Bildungsprojekte gibt es dazu?

  • Der Verein Media Protect e.V. klärt Familien in Fragen der Mediennutzung und Mediensuchtprävention auf und bietet darüber hinaus umfangreiche Tipps und Ratgeber zum Thema Medienmündigkeit: https://www.medienratgeber-fuer-eltern.de/mediaprotect.html.
  • Die MünDig-Studie untersucht in laufenden Befragungen, wie Kinder, Eltern und Lehrer_innen an reformpädagogischen Einrichtungen die Förderung von Medienmündigkeit bewerten: https://muendig-studie.de/.

Weiterführende Literatur

  • Bleckmann, Paula. 2012. Medienmündig. Stuttgart: Klett-Cotta.
  • Reckert, Till. 2016. "Medienmündigkeit: Ein Leitbegriff für die Primärprävention." Der Kinder- und Jugendarzt 47 (9): 608-13.
  • Schludermann, Walther. 2002. "Medienmündigkeit als gesellschaftliche Herausforderung. Positionen, Perspektiven, Potenziale." Medienpädagogik in der Kommunikationswissenschaft, herausgegeben von Ingrid Paus-Haase, Claudia Lampert und Daniel Süss, 49-58. Wiesbaden: Springer VS.

Quellenverzeichnis

  1. Brockhaus. "Mündigkeit (Philosophie)". Aufgerufen am 20.09.2021, http://brockhaus.de/ecs/enzy/article/mundigkeit-philosophie.
  2. Siehe zum Begriff einer philosophisch gefassten Selbstbestimmung und Autonomie im Kontext digitaler Datensammlung auch den Beitrag Informationelle Selbstbestimmung (Medienwissenschaft) in diesem Glossar.
  3. Brockhaus. "Volljährigkeit". Aufgerufen am 20.09.2021, http://brockhaus.de/ecs/enzy/article/mundigkeit-philosophie.
  4. Kant, Immanuel. 1784. "Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?" Berlinische Monatsschrift 2, 481–494.
  5. Bleckmann, Paula. 2012. Medienmündig. Stuttgart: Klett-Cotta, S. 33.
  6. Süss, Daniel; Lampert, Claudia und Christine W. Trültzsch-Wijnen, Christine W.. 2018. Medienpädagogik: Ein Studienbuch zur Einführung. 3. Auflage. Wiesbaden: Springer Fachmedien, S. 112.
  7. Schludermann, Walter. 1999. "Medienmündigkeit - die pädagogische Rückbesinnung der Medienpädagogik." Medien-Impulse 8, 29: 58-61.
  8. Schludermann, Walter. 2002. "Medienmündigkeit als gesellschaftliche Herausforderung." In Medienpädagogik in der Kommunikationswissenschaft. Positionen, Perspektiven, Potenziale. 1. Auflage. Herausgegeben von Ingrid Paus-Haase, Claudia Lampert und Daniel Süss, 49–58. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag, zit. nach Süss, Daniel; Lampert, Claudia und Christine W. Trültzsch-Wijnen. 2018. Medienpädagogik: Ein Studienbuch zur Einführung. 3. Auflage. Wiesbaden: Springer Fachmedien, S. 112.
  9. Bleckmann, Paula. 2012. Medienmündig. Stuttgart: Klett-Cotta, 41-43.
  10. Bleckmann, Paula. 2012. Medienmündig. Stuttgart: Klett-Cotta, S. 29f.
  11. Reckert, Till. 2016. "Medienmündigkeit: Ein Leitbegriff für die Primärprävention." Der Kinder- und Jugendarzt 47 (9): 608-13.
  12. Bleckmann, Paula. 2012. Medienmündig. Stuttgart: Klett-Cotta, S. 67ff.
  13. Bleckmann, Paula. 2012. Medienmündig. Stuttgart: Klett-Cotta.
  14. o.D. 2021. "Medienerziehung an reformpädagogischen Bildungseinrichtungen". alanus hochschule. Aufgerufen am 23.09.2021, https://www.alanus.edu/de/forschung-kunst/wissenschaftliche-kuenstlerische-projekte/detail/medienerziehung-an-reformpaedagogischen-bildungseinrichtungen.
  15. o.A.. 2021. "Medienmündig werden – mit und ohne Bildschirm". alanus hochschule (11.02.). Aufgerufen am 20.09.2021, https://www.alanus.edu/de/aktuelles/aus-der-hochschule/detail/medienmuendig-werden-mit-und-ohne-bildschirm. Für weitere Informationen zur Studie siehe https://muendig-studie.de/.

Die erste Version dieses Beitrags wurde von Vesna Schierbaum im Rahmen des Projekts "Digitale Souveränität" am Institut für Medienrecht und Kommunikationsrecht und am Institut für Medienkultur und Theater der Universität zu Köln erstellt.

Zitiervorschlag: Glossar Digitale Souveränität. 2021. „Medienmündigkeit (Medienbildung).“ https://www.bigdataliteracy.net/glossar/. Zugegriffen am tt.mm.jjjj.