Populismus (Medienwissenschaft)

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Als Populismus wird eine politische Kommunikationsform bezeichnet, die für sich in Anspruch nimmt, direkt für das Volk und zum Volk zu sprechen und so Regierung und herrschende Eliten zu umgehen. Als Kampfbegriff ist 'Populismus' meist negativ konnotiert und legt nahe, dass dieser Anspruch vorgetäuscht wird und die Kommunikation die Adressierten täuschen soll.

Dieser Artikel verweist auf folgende weitere Beiträge:
Echokammer (Medienwissenschaft), Homophilie (Medienwissenschaft), Filterblase (Medienwissenschaft), Netzwerk (Medienwissenschaft), Öffentlichkeit (Medienwissenschaft), Propaganda (Medienwissenschaft)

Was bezeichnet dieser Begriff?

Als Populismus wird eine politische Kommunikationsform bezeichnet, die für sich in Anspruch nimmt, direkt für das Volk und zum Volk zu sprechen und so Regierung und herrschende Eliten zu umgehen. Als Kampfbegriff ist 'Populismus' meist negativ konnotiert und legt nahe, dass dieser Anspruch vorgetäuscht wird und die Kommunikation die Adressierten täuschen soll.

Auf das Volk oder den populus (lateinisch für 'Volk' oder 'Nation') ist Populismus damit doppelt bezogen: Wer populistisch kommuniziert, inszeniert zum einen eine möglichst direkte Anrede an das Volk. Die gewöhnliche Bevölkerung soll erreicht werden, in Abhebung zu spezifischen korporativen, politischen, ideologischen, religiösen, elitären oder anderen Bedürfnissen. Damit rückt das Volk in dieser Konzeption bereits in Gegensatz zu allen etablierten Gruppierungen und Partialinteressen[1]; das 'einfache' Volk, der_die 'normale' Bürger_in oder die 'echten' Mitglieder der so konzipierten Volksgemeinschaft werden in einem Normalisierungsdiskurs[2] entworfen und ihr Einverständnis mit der politischen Agenda der Populist_innen vorausgesetzt. Naturalisiert wird so das Anliegen einer bestimmten Gruppe als die Norm, die angeblich für die gesamte Bevölkerung gelten soll: "das Volk als Basis der Demokratie [wird] homogen gedacht"[3].

Denn der zweite Bezug auf das so konzipierte Volk entwirft die Sprechenden als deren ideale Vertreter_innen: Sie sollen wie das Volk sein, also selbst die Normen jener angenommenen Normalität erfüllen. Oft wird dies in vermeintlich einfacher Sprache oder im Verstoß gegen angenommene Regeln des öffentlichen Diskurses ausgedrückt. Zugleich wird diese Kommunikation von einer etablierten Öffentlichkeit abgesetzt. Inszeniert wird also auch eine Gegenöffentlichkeit, die sich jedoch anders als andere Gegenöffentlichkeiten nicht mit einer spezifischen Gruppe, sondern vermeintlich mit einer großen Mehrheit des Volks identifiziert.

Im Rechtspopulismus, aber auch in bestimmten linkspopulistischen Diskursen schließt die Konstruktion des echten, einfachen Volks als politisch treibende Kraft an Essentialisierungen von Volksgemeinschaften an, die oft mit identitätspolitischen[4], ethniezentrierten, nationalistischen, rassistischen oder anderen Konstrukten zusammenfallen: Denn zu jeder bereits etablierten Zurechnung zur Bevölkerung, etwa durch dokumentierte Nationalität, durch Wohnort oder durch Selbstbezeichnung, stellt sich die populistische Kommunikation ja in Widerspruch. Das tatsächliche Volk erscheint so im Gegensatz zu seiner bisherigen Repräsentation. Zugleich werden häufig Feindbilder aus denselben Ideologien mobilisiert.

In allen diesen Hinsichten steht populistische Kommunikation in einem Spannungsverhältnis zu modernen, repräsentativen Demokratien. Einerseits teilt der Populismus mit der Demokratie den Anspruch auf die Herrschaft des Volks. Andererseits widerspricht er den vorhandenen Institutionen, die dessen Repräsentation dienen sollen, wie gewählten Parlamenten und Exekutiven, ebenso wie den etablierten medialen Öffentlichkeiten, in denen sich das Volk über die eigenen Anliegen verständigt.


Woher kommt der Begriff?

In seiner modernen Bedeutung wurde der Begriff in den politischen Auseinandersetzungen des 19. Jahrhunderts geprägt und dort zunächst positiv verstanden: So diente er als Selbstbezeichnung der US-amerikanischen People's Party. Hier wird zum einen in einem Agrarpopulismus eine Land- gegen eine elitäre Stadtbevölkerung ausgespielt, zum anderen auf charismatische Führungspersonen vertraut.[5] In der Auseinandersetzung mit Propaganda in Demokratien sowie im kommunistischen Totalitarismus und in den rechtspopulistischen Diktaturen des 20. Jahrhunderts erhält der Begriff seine negative Konnotation.

Mitte des 20. Jahrhunderts hat die einflussreiche soziologische Definition nach dem Sozialphilosophen Edward Shils[6] den Populismus zunächst über das absolute Primat des Willens des Volks und über das direkte Verhältnis von Volk und Regierung bestimmt. Populistisch sind nach diesem Verständnis andere Regierungsformen als jene der repräsentativen Demokratie. Der Soziologe Peter Worsley[7] schlägt einen differenzierten Populismusbegriff vor, der populistische Strömungen in verschiedenen, auch in demokratischen Systemen ausmacht. Ihre Kennzeichen seien die besondere politische Emphase populistischer Rhetorik, die Gegenüberstellung einer gewünschten Teilhabe zu einem kritisierten Elitismus und eine Symbolik oder sogar Mystik der vermeintlich möglichen direkten Teilhabe aller an der Macht, deren tatsächliche Unmöglichkeit Worsley betont.

Canovans einflussreiche Neubestimmung[8] bezieht den Populismus schließlich dezidiert auf seine spannungsreiche Position in modernen Demokratien: Demokratie sei einerseits als ein Ideal allgemeiner Teilhabe zu verstehen, das kaum zu erreichen sei, andererseits als empirische Realität in jenen Staaten, die es wenigstens teilweise verwirklichen. Diese bildeten sich in zwei Diskursen ab, einem rechtfertigenden, der das Ideal vertritt, und einem pragmatischen, der auf das Machbare verweist. In der Lücke zwischen dem Ideal und dem realen Phänomen komme Populismus als kritisches Symptom der Mängel jeder konkreten repräsentativen Demokratie auf. Sein dritter Diskurs zeichne sich durch die enthusiastische Anrede an das Volk für das Volk, die Positionierung gegen das herrschende System und auch gegen dessen Ideen und Vorstellungen aus.

In der jüngeren Transformation der Öffentlichkeit durch vernetzte digitale Medien[9] wird ein 'Neo-Populimus' beobachtet. Er nutzt in besonderer Weise die Skandalisierbarkeit des seit den 1990er Jahren beschleunigten Nachrichtenjournalismus sowie die Fragmentierung des öffentlichen Diskurses in tendenziell geschlossenen und partiellen Kommunikationsgemeinschaften im Internet aus (Vergleiche dazu die Begriffe Homophilie, Echokammer und Filterblase). Die Opposition vor allem zur traditionellen bürgerlichen Öffentlichkeit spitzt sich dann in der Frage nach der Abkehr von einem Ideal rationaler, gewaltfreier Kommunikation zu.[10]

Wonach muss ich fragen?

  • Liegt populistische Kommunikation vor?
  • Wie setzt sie sich in Gegensatz zu etablierten Öffentlichkeiten?
  • Wie wird das 'normale Volk' konstruiert? Wie wird es in Gegensatz zu anderen Gruppen gesetzt?
  • Welche politischen Positionen werden als 'normal' vorausgesetzt?
  • Wie positionieren sich Populist_innen als ideale Vertreter_innen dieses Volks?
  • Welche Normalitätsvorstellungen, welche Feindbilder werden mobilisiert?
  • Wie verhält sich diese Kommunikation zu etablierten Kommunikationsformen?
  • Werden gezielt Skandale produziert, um journalistische Medien zu manipulieren?
  • Wird rationale zugunsten emotionalisierender Kommunikation zurückgestellt?
  • Wie verhält sich die tatsächlich angesprochene Gruppe zum vermeintlichen ganzen Volk?
  • Wie wird Misstrauen gegen Eliten mobilisiert?
  • Wer wirft wem Populismus vor? Wozu dient der Vorwurf?


Wann ist das wichtig?

In der Spannung zur repräsentativen Demokratie kann Populismus sowohl als kritisches Symptom als auch als Bedrohung der demokratischen Werte- und Herrschaftsordnung aufgefasst werden. In den letzten Jahren wird insbesondere vor einem im Internet erstarkenden Rechtspopulismus gewarnt.[11]

Neben den beschriebenen politischen Zusammenhängen wird auch jede andere Form populärer medialer Kommunikation bisweilen unter Populismusverdacht gestellt.[12] In Annäherung an die Kritik an einer Kulturindustrie, aber unter umgekehrtem Vorzeichen, wird Massenkultur nicht der Steuerung durch hegemoniale, etwa kommerzielle, kapitalistische oder militärische Interessen, sondern des Diensts an einer manipulativen Gegenbewegung zur herrschenden demokratischen Ordnung verdächtigt.

In den neusten digitalen und Nachrichtenmedien wird mit dem Neo-Populismus eine neue Form manipulativer, antidemokratischer Kommunikation und politischer Gruppenbildung vermutet, die an der Fragmentierung von Öffentlichkeit durch die Zersplitterung der gemeinschaftsbildenden traditionellen Hegemoniemedien teilhabe. Sie wird mal technodeterministisch als Folge neuer, partieller und partizipativer Medienangebote, mal aus zunehmenden ökonomischen Differenzen in der Gesellschaft begründet.


Wie wird der Begriff erfasst?

Angesichts der negativen Konnotation und der Verwendung als Kampfbegriff ist die objektive Feststellbarkeit von Populismus umstritten.[13] Als typische Kennzeichen können die Inszenierung einer emphatischen, emotionalen und direkten Adressierung an das Volk für das Volk und die normalisierende Konzeption dieses Volks in Abhebung zu inneren und äußeren Feindbildern, also zu kulturellen, ökonomischen und politischen Eliten ebenso wie zu kulturell als 'Andere' konstruierten Außenseitern gelten. Da populistische Kommunikation oft als manipulativ verstanden wird, sind zudem dieselben Kriterien wie für Propaganda anzusetzen.

Den Herausforderungen der parteiischen Verwendung des Populismusbegriffs begegnen einige politische Theorien mit Reflektionen dieser Selbstbezüglichkeit. So wird bereits in Le Bons heute umstrittener Warnung vor der Psychologie der Massen[14] die Emotionalisierung und die mangelnde Unterscheidung zwischen Fakten und Fiktion einerseits zum Wesensmerkmal des Populismus erhoben, andererseits aber dessen standortabhängige Bestimmung betont; diese wiederum zu objektivieren gelinge unter Rücksicht auf Mengenverhältnisse, was Massenkommunikation generell unter Verdacht stellt.

Auch der politische Theoretiker Ernesto Laclau[15] stellt auf die Verwischung von Wahrheitskriterien ab und weist auf die Verwendung von inhaltlich nicht abschließend bestimmbaren 'leeren Signifikanten' hin, betont aber ansonsten die Nähe der populistischen Skandalisierung zum agonalen Charakter der Demokratie schlechthin, der sich in der Tagespolitik in repräsentativen Demokratien nur in Ausnahmesituationen abbilde. Populismus erscheint damit als Exzess einer ansonsten ins System integrierbaren Kommunikationsform; in dieser Hinsicht rückt diese Perspektive in die Nähe der Theorien nach Shills und Worsley. Gemeinsam mit Chantal Mouffe sieht Laclau in populistischen Prozessen die potenzielle Herausbildung neuer Hegemonien, die sich als Alternative zu herrschenden Eliten positionieren, um sie zu ersetzen.[16]


Welche Bildungsprojekte gibt es dazu?

Weiterführende Literatur

Quellenverzeichnis

  1. Müller, Jan-Werner. 2016. Was ist Populismus? Ein Essay. Berlin: Suhrkamp, S. 30.
  2. Vergleiche Link, Jürgen. 2018. Normalismus und Antagonismus in der Postmoderne. Krise, New Normal, Populismus. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
  3. Reckwitz, Andreas. 2017. Die Gesellschaft der Singularitäten. Berlin: Suhrkamp, S. 415.
  4. Knobloch, Clemens. 2021. "Artikel Identitätspolitik." In Diskursmonitor. Glossar zur strategischen Kommunikation in öffentlichen Diskursen, herausgegeben von der Forschungsgruppe Diskursmonitor und Diskursintervention (19.05.). Aufgerufen am 12.01.2023, https://diskursmonitor.de/glossar/identitaetspolitik/.
  5. Canovan, Margaret. 1982. "Two Strategies for the Study of Populism." Political Studies 30 (4): 544-552. Aufgerufen am 30.06.2021, https://doi.org/10.1111/j.1467-9248.1982.tb00559.x.
  6. Shils, Edward. 1954. "Populism and the rule of law." University of Chicago Law School, Conference Series 15: 99–107.
  7. Worsley, Peter. 1969. "The Concept of Populism." In Populism: Its Meaning and National Characteristics, herausgegeben von Ghina Ionescu und Ernest Gellner. Basingstoke: Macmillan.
  8. Canovan, Margaret. 1999. "Trust the People! Populism and the Two Faces of Democracy" Political Studies 47 (1): 2-16. Aufgerufen am 30.06.2021, https://doi.org/10.1111/1467-9248.00184; vergleiche dazu Arditi, Benjamín. 2004. "Populism as a Spectre of Democracy: A Response to Canovan." Political Studies 52 (1): 135-143. Aufgerufen am 30.06.2021, https://doi.org/10.1111/j.1467-9248.2004.00468.x.
  9. Horsfield, Bruce; Mazzoleni, Gianpietro und Julianne Stewart. 2003. The Media and Neo-Populism: A Contemporary Comparative Analysis. Westport: Praeger; sowie Pajnik, Mojca und Birgit Sauer. 2018. Populism and the Web: Communicative Practices of Parties and Movements in Europe. London: Routledge.
  10. Hafez, Kai. 2017. „A Complicated Relationship: Right-Wing Populism, Media Representation and Journalism Theory.“ Global Media Journal 7 (2): 1-7.
  11. Vergleiche zum Beispiel Koppetsch, Cornelia. 2019. Die Gesellschaft des Zorns. Rechtspopulismus im globalen Zeitalter. Bielefeld: transcript; Link, Jürgen. 2008. "Diskurstheoretische Überlegungen zur neuesten Konjunktur des 'Populismus'-Begriffs." In Populismus in Geschichte und Gegenwart, herausgegeben von Richard Faber und Frank Unger, 17–28. Würzburg: Königshausen & Neumann.
  12. Vergleiche Penke, Niels und Matthias Schaffrick. 2018. Populäre Kultur zur Einführung. Hamburg: Junius, S. 160ff.
  13. Link, Jürgen. "Populismus zwischen Normalisierung und Denormalisierung." kultuRRevolution (01.03.). Aufgerufen am 30.06.2021, https://zeitschrift-kulturrevolution.de/populismus-zwischen-normalisierung-und-denormalisierung.
  14. Le Bon, Gustave. 1895. Psychologie des foules. Paris: Presses Universitaires de France; vergleiche dazu Penke, Niels und Matthias Schaffrick. 2018. Populäre Kultur zur Einführung. Hamburg: Junius, S. 76ff.
  15. Laclau, Ernesto. 2005. On Populist Reason. London: Verso.
  16. Laclau, Ernesto und Chantal Mouffe. 2001. [1985]. Hegemony and Socialist Strategy. London: Verso.


Die erste Version dieses Beitrags wurde von Stephan Packard im Rahmen des Projekts "Digitale Souveränität" am Institut für Medienrecht und Kommunikationsrecht und am Institut für Medienkultur und Theater der Universität zu Köln verfasst.


Zitiervorschlag: Glossar Digitale Souveränität. 2021. "Mediale Kontrolle (Medienwissenschaft).“ https://www.bigdataliteracy.net/glossar/. Zugegriffen am tt.mm.jjjj.