Propaganda (Medienwissenschaft)

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Von politischem oder ökonomischem Interesse geleitete mediale Strategien, bei denen eine konzertierte Kommunikation kollektive Handlungsweisen steuern soll.
Dieser Artikel verweist auf folgende weitere Beiträge:
Mediale Kontrolle (Medienwissenschaft), Netzwerk (Medienwissenschaft), Öffentlichkeit (Medienwissenschaft), Populismus (Medienwissenschaft), Überwachung (Medienwissenschaft), Zensur (Medienwissenschaft)


Was bezeichnet dieser Begriff?

Als Propaganda können all jene von politischem oder ökonomischem Interesse geleiteten medialen Strategien bezeichnet werden, bei denen eine konzertierte, also in sich abgestimmte Kommunikation kollektive Handlungsweisen steuern soll. Es handelt sich um eine Form medialer Kontrolle. Wie viele Konzepte zur Beschreibung medialer Kontrolle wird auch 'Propaganda' in der Moderne regelmäßig als wertender oder Kampfbegriff verwendet: Die Methoden oder die Interessen der so beschriebenen medialen Strategie werden damit politisch, ethisch oder rechtlich in Frage gestellt. Zugleich ist der Begriff durch vielfältige historische Rekontextualisierungen schillernd geworden und bezeichnet eine große Vielfalt an verschiedenartigen Phänomenen.

Nach Bussemer könnte eine "Super-Definition von Propaganda", die dieser Vielfalt gerecht wird, wie folgt lauten: "die in der Regel medienvermittelte Formierung handlungsrelevanter Meinungen und Einstellungen politischer oder sozialer Großgruppen durch symbolische Kommunikation und als Herstellung von Öffentlichkeit zugunsten bestimmter Interessen." Typische Kennzeichen seien zudem die "Komplementarität vom überhöhten Selbst- und denunzierenden Fremdbild"[1] und die Unterordnung von Wahrheit unter das Primat der Wirkung.

Typisch ist auch die Naturalisierung oder Ideologisierung der Botschaft, bei der interessegeleitete Behauptungen als objektive Tatsachenbeschreibungen camoufliert werden. Dazu gehört vor allem in der modernen Propaganda insbesondere, dass häufig abgestritten wird, es liege überhaupt Propaganda vor. Andere Begriffe treten dann an diese Stelle, die ursprünglich synonym gebraucht wurden, aber nicht dieselben negativen Konnotationen haben: u.a. Public Relations, Öffentlichkeitsarbeit, Wahlkampf, Werbung. In diesem Zusammenhang wird der Begriff oft auf politische Propaganda in Abgrenzung zu handlungsformenden Kommunikationskampagnen aus ökonomischen und kommerziellen Interessen eingeschränkt. Stattdessen tritt Kriegspropaganda und Propaganda in totalitären Machtverhältnissen in den Vordergrund; aber auch in demokratischen Öffentlichkeiten ist Propaganda häufig.[2] So wird bisweilen zwischen einem engen und einem weiten Propagandabegriff unterschieden. In negativer Konnotation wird Propaganda oft in die Nähe von Populismus gerückt.


Woher kommt dieser Begriff?

Geprägt wurde der Begriff der Propaganda (lat.: 'was verbreitet, ausgestreut werden soll') in den politischen und religiösen Auseinandersetzungen des frühen 17. Jahrhunderts, die einerseits die kolonialistische christliche Mission, andererseits Reformation und Gegenreformation bestimmten. Die Sacra Congregatio de Propaganda Fide wurde unter Papst Gregor XV. gegründet und später als Congregatio pro Gentium Evangelizatione fortgeführt. Sie fungierte als katholische Institution der Propaganda. Wurde hier von Propaganda als wünschenswerter, affirmierter Strategie gesprochen, erfuhr der Begriff im 18. Jahrhundert im Zuge der aufklärerischen Kritik an der Rhetorik eine Abwertung, gleichzeitig jedoch in den politischen Bewegungen der französischen und amerikanischen Revolutionen wiederum eine Aufwertung. Letztere setzt sich in der affirmierten Agitationspolitik der Arbeiterbewegung im 19. Jahrhundert fort. Zur selben Zeit ist 'Propaganda' ebenso als Bezeichnung für kommerzielle Produktwerbung erstmals belegt.

Im 20. Jahrhundert hat in westlichen und kapitalistischen Demokratien vor allem die gleichnamige Monographie von Edward Bernays Propaganda und Public Relations eng geführt.[3] Bernays leitet die Notwendigkeit von externer Unternehmenskommunikation aus einem allgemeinen Bedürfnis nach einer handlungsleitenden, kollektivierenden Kommunikation in Demokratien her. Diese Notwendigkeit und die unauflösbare Bindung an die Interessen der so bearbeiteten Bevölkerung und einen der Wahrheit verpflichteten Kern rechtfertigten Propaganda. Im Sozialismus, etwa in Lenins Ausführungen zum Umgang mit der Presse[4] oder in Eisensteins Anweisung zur politischen Propaganda im Kino[5], wird ebenso wie bei Bernays die wissenschaftliche, namentlich soziologische Fundierung der Propaganda betont, die Politik und Gesellschaft über die wissenschaftliche Erforschung und Bearbeitung der Bevölkerung im Sinne eines Herrschaftswissens miteinander verzahnt. Zur selben Zeit legte der Soziologe Johann Plenge eine systematische Definition von Propaganda als "Verbreitung geistiger Antriebe, die Handlungen auslösen sollen" vor, "genauer gesagt, ein Unterfall des Ausstreuns solcher geistiger Antriebe und [...] damit [eine der] Grundtatsachen des menschlich-gesellschaftlichen Zusammenlebens"[6].

Wonach muss ich fragen?

  • Welche verschiedenen Kommunikationen kommen in einer gemeinsamen propagandistischen Strategie zusammen?
  • Welche Gruppe betreibt die Propaganda?
  • Welches Kollektiv wird adressiert oder soll durch die Propaganda erst formiert werden?
  • Zu welcher Handlungsweise soll die Propaganda motivieren?
  • Dient die Propaganda politischen, ökonomischen oder weiteren Interessen?
  • Wie werden Selbst- und Feindbild konstruiert?
  • Wo wird eine Verpflichtung zur Wahrheit der Wirkungsabsicht untergeordnet? Wo wird gelogen?
  • Wo werden Behauptungen naturalisiert, wie werden interessegeleitete Appelle als Tatsachenbehauptungen maskiert?
  • Wo wird die propagandistische Absicht bestritten?
  • Wird überredet oder überzeugt?
  • Liegt harte oder weiche, starke oder schwache Propaganda vor?
  • Welche Taktiken werden hier für die emotionale Beeinflussung genutzt und wie kann man diesen entgegenwirken?


Wann ist das wichtig?

Aufmerksamkeit und ein Verständnis für Propaganda werden in mindestens zwei Zusammenhängen relevant: zum einen, um die Kommunikationsstrategien und -absichten zu erkennen, die uns erreichen, zum anderen, um über die Möglichkeiten der eigenen politischen Meinungsäußerung und des Beitrags zur Meinungsbildung zu reflektieren.

In digitalen Medien spielen insbesondere Internetwerbung, politische Bewegungen auf soziale Netzwerken und der Verdacht auf neue Strategien von Wahlmanipulation, Desinformation und Fake News eine wesentliche Rolle. Kritische Bestandsaufnahmen nehmen insbesondere die Verschränkung von Überwachungstechnologien, die einzelne Nutzer_innen gezielt nach ihren persönlichen Bedürfnissen, Vorlieben und Ängsten adressierbar machen[7], und die Zersplitterung von Öffentlichkeit in fragmentierten Gruppen auf sozialen Medien[8] in den Blick.

Wie wird der Begriff erfasst/festgelegt?

Noam Chomskys und Edward S. Hermans Propagandamodell schlägt ein System von fünf Filtern vor, mit denen Propaganda vor allem in Nachrichtenmedien erfasst und beschrieben werden kann. Als Filtermodell rückt es Propaganda sehr nahe an den Begriff der Zensur heran. Das Modell beschreibt den manipulativen Einfluss von Massenmedien zu Gunsten verschiedener politischer oder wirtschaftlicher Gruppen. Es stellt dar, wie Medien in einer westlichen, kapitalistischen Demokratie auch ohne eine zentralisierte Organisation ein Beeinflussungssystem aufbauen können, welches die Öffentlichkeit manipulativ bearbeiten kann.[9]

Die fünf Filter betreffen

  • die Besitzverhältnisse eines Mediums, das in der Regel eines erheblichen Kapitals bedarf, um seine Nachrichten massiv zu verbreiten, und so von den Interessen der Kapitalgebenden abhängig wird;
  • die Abhängigkeit von Werbekundschaft;
  • die Abhängigkeit von Quellen und den dafür benötigten Ressourcen, woraus eine enge Beziehung zwischen Massenmedien und regierungsnahen oder anderen interessegeleiteten Informationsquellen entstehen kann;
  • die besondere Abhängigkeit von "Flak", d.h. von kritischen Einwänden, die Redaktionen erreichen und dort gerade in massenmedialen Konstellationen oft überschätzt werden können, in denen die Ansichten des größten Teils des Publikums nur schwer repräsentativ zu erfassen sind
  • und die ideologische Aufrechterhaltung eines Feindbildes, die Chomsky und Herman zunächst vor allem auf die antikommunistische Position der USA in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts beziehen, die jedoch auch auf andere Einschränkungen von Sagbarkeit durch dichotome Feindbilder bezogen werden kann.

Gegenüber diesen subtraktiven Modellen differenzieren andere Ansätze Propaganda nach den besonderen produktiven Verfahren, mit denen sie hervorgebracht wird. Die Traditionen der Propaganda werden seit der frühen Neuzeit auf rhetorische Verfahren bezogen, welche die deliberative und anklagende Argumentation, die Hervorrufung und Lenkung von Affekten, Emotionen und Sympathien sowie die Herstellung von Hoffnungen und Ängsten in den Vordergrund rücken - zusätzlich zu dem breiten Spektrum an unterstützenden rhetorischen Figuren und Verfahren an der Oberfläche von Texten und Medien. Für die Propaganda gelten emotionalisierende Verfahren, die Konstruktion von antagonistischen Fremd- und Selbstbildern sowie rhetorische Täuschungsmuster als typisch. In der moderneren Diskurs- und Medienanalyse sind insbesondere Framingverfahren[10] und ideologische Normativitätsdiskurse[11] beschrieben worden.

Die Differenz zwischen 'Überreden' und 'Überzeugen' wird vor allem in der philosophischen Reflexion auf Propaganda zur näheren Bestimmung oder auch zur Abgrenzung von Propaganda verwendet.[12] Diese Differenzierung der rhetorischen Kategorie persuasiver Kommunikationsabsichten soll das oft affektive oder emotionale, potenziell täuschende Überreden vom argumentativ ernsthaften, vielleicht aufrichtigeren oder aufgeklärteren Überzeugen trennen.

In der jüngeren Propagandaforschung ist einerseits zwischen 'harter' und 'weicher', andererseits zwischen 'starker' und 'schwacher' Propaganda unterschieden worden, um das Verhältnis zwischen verschiedenen Formen von Propaganda und den Machtverhältnissen, an denen sie partizipieren, näher zu bestimmen. Bei starker Propaganda wird die propagandistisch verbreitete Behauptung von Maßnahmen der Zensur begleitet, anderslautende Meinungsäußerungen werden unterdrückt.[13] 'Schwache' Propaganda muss dagegen im Wettstreit mit anderen handlungsleitenden Kommunikationen um die Rezipierenden werben. Das gilt auch für 'weiche' Propaganda, die überreden oder überzeugen will. 'Harte' Propaganda unterscheidet sich davon insofern, als dass sie nicht geglaubt werden muss, sondern durch ihre bloße massierte Präsenz die Macht der kommunizierenden Instanz ausstellt.[14] Hier kann sogar ein besonders unglaubhafter Inhalt umso besser geeignet sein, um Loyalität auszudrücken.


Welche Bildungsprojekte gibt es dazu?


Weiterführende Literatur

  • Bussemer, Thymian. 2008. Propaganda. Konzepte und Theorien. 2., überarbeitete Auflage. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften/ GWF Fachverlage.
  • Bernays, Edward. 2009 [1928]. Propaganda. Die Kunst der Publi cRelations. Übersetzt von Patrick Schnur. Kempten: orange press.
  • Zywietz, Bernd. 2012-2017. Online-Propagandaforschung. https://www.online-propagandaforschung.de.

Quellenverzeichnis

  1. Bussemer, Thymian. 2008. Propaganda. Konzepte und Theorien. 2., überarbeitete Auflage. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften/ GWF Fachverlage, S. 33.
  2. Kaid, Lynda Lee und Christina Holtz-Bacha. 2008. Encyclopedia of political communication. Los Angeles: SAGE.
  3. Bernays, Edward. 2005 [1928]. Propaganda. New York: Ig Publishing.
  4. Zum Beispiel im Memo zur Produktionspropaganda von 1920; siehe Lenin, Vladimir I. 1965 [1928]. "Theses On Production Propaganda. Rough Draft." In V. I. Lenin Collected Works Volume 31. April-December 1920, 4. Ausgabe, herausgegeben und aus dem Russischen übersetzt von Julius Katzer, 404-406. Moskau: Progress Publishers.
  5. Eisenstein, Sergei. 1923. "Монтаж attpaкционов." журнал ЛЕФ; eine deutsche Übersetzung findet sich hier: Sergej Eisenstein. 2006. „Montage der Attraktionen (1923)." In Jenseits der Einstellung. Schriften zur Filmtheorie, herausgegeben von Felix Lenz und Helmut H. Diederichs, 9-14. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
  6. Plenge, Johann. 1922. Deutsche Propaganda: die Lehre von der Propaganda als praktische Gesellschaftslehre. Bremen: Angelsachsen-Verl., S. 13, zit. nach Bussemer, Thymian. 2008. Propaganda. Konzepte und Theorien. 2., überarbeitete Auflage. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften/ GWF Fachverlage, S. 30. Vergleiche auch Laswell, Harold. 1938. Propaganda Technique in the World War. London u.a.: Kegan u.a..
  7. Morozov, Evgeny. 2011. The net delusion: how not to liberate the world. London [u.a.]: Allen Lane; Zuboff, Shoshana. 2019. The age of surveillance capitalism: the fight for the future at the new frontier of power. London: Profile Books.
  8. Pörksen, Bernhard. 2018. Die große Gereiztheit: Wege aus der kollektiven Erregung. München: Carl Hanser Verlag.
  9. Herman, Edward S. und Noam Chomsky. 1988. Manufacturing Consent: the political economy of the mass media. New York: Pantheon Books, S.1ff.
  10. Vergleiche Goffman, Erving. 1974. Frame analysis: An essay on the organization of experience. Cambridge, MA: Harvard University Press; sowie Knobloch, Clemens. 2020. "Artikel framing." In: Diskursmonitor. Glossar zur strategischen Kommunikation in öffentlichen Diskursen, herausgegeben von der Forschungsgruppe Diskursmonitor und Diskursintervention (23.05.). Aufgerufen am 15.06.2021, https://diskursmonitor.de/glossar/framing-2.
  11. Vergleiche Jäger, Siegfried. 2015. Kritische Diskursanalyse: eine Einführung. 7., vollständig überarbeitete Auflage. Münster: Unrast; Link, Jürgen. 2013. Versuch über den Normalismus: wie Normalität produziert wird. 5. Auflage. Göttingen: Vandenhoeck & Rubrecht; Link, Jürgen und Rolf Parr. 2016. Normalismus und Antagonismus in der Postmoderne. Essen: Klartext Verlag.
  12. Ostermann, Eberhard. 2001. "Überreden/Überzeugen." Historisches Wörterbuch der Philosophie, herausgegeben von Joachim Ritter, Karlfried Gründer und Gottfried Gabriel. Basel: Schwabe Verlag. Aufgerufen am 15.06.2021, DOI: 10.24894/HWPh.4393. Siehe auch Florian Franken. 2015. "Überreden und Überzeugen." DZPhil 36 (1): 58-86.
  13. Vergleiche Fahlenbrach, Kathrin. 2018. "'Schwache' und 'starke' Propaganda als Teil liberalen und anti-liberalen Protests." Online-Propagandaforschung. Aufgerufen am 26.04.2021, https://www.online-propagandaforschung.de/index.php/schwache-und-starke-propaganda-als-teil-liberalen-und-anti-liberalen-protests.
  14. Huang, Haifeng. 2018. "The Pathology of Hard Propaganda." The Journal of Politics 80 (3): 1034–1038. Aufgerufen am 11.01.2023, https://www.journals.uchicago.edu/doi/epdf/10.1086/696863.

Die erste Version dieses Beitrags beruht auf studentischen Arbeiten im Rahmen des Projekts "Digitale Souveränität" am Institut für Medienrecht und Kommunikationsrecht und am Institut für Medienkultur und Theater der Universität zu Köln.

Zitiervorschlag: Glossar Digitale Souveränität. 2021. "Propaganda (Medienwissenschaft).“ https://www.bigdataliteracy.net/glossar/. Zugegriffen am tt.mm.jjjj.