Social Media Literacy (Medienbildung)

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Social Media Literacy bezeichnet ein Bündel aus Wissen, Fertigkeiten und Kompetenzen, die den Umgang mit sogenannten sozialen Medien betreffen. In verschiedenen medienpädagogischen Strömungen wird Social Media Literacy unterschiedlich aufgefasst.
Dieser Artikel verweist auf folgende weitere Beiträge:
Algorithmus (Medienwissenschaft), Mediale Kontrolle (Medienwissenschaft), Überwachung (Medienwissenschaft), Zensur (Medienwissenschaft)


Was bezeichnet dieser Begriff?

Social Media Literacy bezeichnet zunächst ein Bündel aus Wissen, Fertigkeiten und Kompetenzen, die den Umgang mit sogenannten sozialen Medien betreffen. Soziale Medien werden dabei im weitesten Sinne als internetbasierte Technologien verstanden, die Kommunikation, Kollaboration, Partizipation und das Teilen von Inhalten ermöglichen.[1] Darunter fallen beispielsweise Wikis, Blogs, Googledocs, Soziale Netzwerke wie Facebook oder Twitter, Filesharing-Angebote, Onlinedienste zum Teilen von Fotos und Videos wie YouTube und Instagram und Social Bookmarks.[2]

Es lässt sich eine grobe Einteilung in etwa drei Stufen unterschiedlicher Ausprägung von Social Media Literacy ausmachen.

Ein Minimalverständnis setzt zunächst die Fähigkeit von Nutzer_innen voraus, die oben genannten Anwendungen als solche zu verstehen und auf eine Weise gebrauchen zu können, bei der leicht absehbare Risiken und Kosten für die Nutzer_innen so niedrig wie möglich gehalten werden.

Zu diesem rein anwendungsbezogenen Wissen kommt bei der zweiten Stufe von Social Media Literacy in der Regel das Wissen über angemessene Verhaltensweisen hinzu. Shakuntala Banaji zählt hierzu beispielsweise die soziale Kompetenz von Nutzer_innen, bei der Verwendung unterschiedlicher sozialer Medien verschiedene soziale Gruppierungen und Communities angemessen zu adressieren und die ihnen entsprechenden sozialen Kodes und Konventionen zu bedienen. Des Weiteren sollten Nutzer_innen Informationen, die sie aus den Inhalten der sozialen Medien beziehen, auf ihre Quellen zurückverfolgen können. Relevant für ein erweitertes Verständnis von Social Media Literacy seien außerdem Kompetenzen wie die effektive Nutzung von Privatsphäre-Einstellungen, die adäquate Anwendung von Richtlinien und Verhaltenskodizes, ein souveräner Umgang mit Cybermobbing, Trollen, kontroversen Inhalten und Konflikten sowie die Fähigkeit, zwischen kommerziellen und nicht-kommerziellen Inhalten zu unterscheiden.[3]

Bei der dritten, eng gefassten Stufe von Social Media Literacy können diese Kompetenzen um die Fähigkeit zur kritischen Auseinandersetzung mit den sozialen Medien und deren Rolle innerhalb der Gesellschaft erweitert werden. Dieses stärker kontextbezogene Wissen umfasst beispielsweise die Fähigkeit, Fragen der Überwachung oder der Zensur in sozialen Medien zu reflektieren, sich hierzu eine Meinung zu bilden und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Bei der Interaktion mit Inhalten und anderen Nutzer_innen kann weiterhin das Erkennen und die Reflexion von Ironie, Humor oder von ideologischer Voreingenommenheit sowie von Fake News und Verschwörungstheorien vorteilig sein. Auch tiefergehendes Wissen über die technischen Funktionsweisen von beispielsweise Algorithmen sowie Know-how aus dem Bereich der Programmierung ist für eine ausgeprägte Social Media Literacy erforderlich.[4]


Woher kommt der Begriff?

Das Konzept der 'Social Media Literacy' geht aus der englischsprachigen Auseinandersetzung der Medienbildung mit den sogenannten neuen Medien sowie dem Web 2.0 zu Beginn des 21. Jahrhunderts und der durch sie aufkommenden Relevanz einer new media literacy hervor.[5] Ausgehend von US-amerikanischen Medienwissenschaftler_innen wie Henry Jenkins wurde im Zuge dessen erstmals auf eine "Partizipationskultur"[6] hingewiesen, bei der unter anderem die Potenziale aktiver Beteiligung und kollektiver Intelligenz bei der Verwendung von Populärmedien durch Kinder und Jugendliche betont wurden. Für die Medienpädagogik war dabei zunächst die Frage zentral, wie diese neuen Medien der Kollaboration das Lernen von Schüler_innen verbessern können.

Parallel entwickelte sich aus der kritischen Tradition der Medienpädagogik[7] heraus ein eher reflexiv-kritisches Verständnis von 'Social Media Literacy', bei dem die Ausbildung und das Erlernen spezifischer Literacies, das heißt weitgehend definierter Fähigkeiten und Kompetenzen, als notwendige Antwort auf die verbreitete Verwendung sogenannter sozialer Medien, insbesondere sozialer Netzwerke durch Kinder, Jugendliche und Erwachsene angesehen wird.[8] Im Fokus steht dabei die Frage, inwiefern soziale Medien bei der sozialen Konstruktion von Wissen mitwirken und dadurch wesentlichen Einfluss auf die Zirkulation von Macht innerhalb einer Gesellschaft haben.[9] Eine so ausgelegte Social Media Literacy berücksichtigt laut Burnett und Merchant dann, welche Diskurse die Verwendung sozialer Medien prägen (Partizipation, Ermächtigung, Konsum, Ausbeutung, Betrug, Sicherheit etc.) und hilft Nutzer_innen bei der Reflexion darüber, wie ihr Nutzungsverhalten sie und andere in Abhängigkeit von diesen Diskursen positioniert.[10]

Ein Novum der sozialen Medien ist die Konvergenz, also das Zusammenfallen oder die Grenzverwischung von Medienproduktion und Medienrezeption, bei welcher die herkömmlichen Instanzen Publikum und Produzent_innen weitgehend aufgelöst werden.[11] Social Media stellt insofern auch für die Medienbildung immer noch ein recht junges und bisher nicht ausreichend erforschtes Feld dar. Zu untersuchen wäre aus der Perspektive einer kritischen Social Media Literacy weiterhin, so Banaji, wie Eigentum, Profitabilität, Governance und Kontrolle in sozialen Medien verfasst sind und insbesondere wie sie sich auf die Identitätsbildung verschiedener Gruppen auswirken.[12]


Weiterführende Literatur


Quellenverzeichnis

  1. Hughes, A. 2009. Higher education in a Web 2.0 world. Bristol: JISC. Zitiert nach Burnett, Cathy und Guy Merchant. 2011. "Is there a space for critical literacy in the context of social media?" English Teaching: Practice and Critique 10 (1): 41-57. Aufgerufen am 09.06.2021, https://files.eric.ed.gov/fulltext/EJ935562.pdf, S. 42.
  2. Banaji, Shakuntala. 2015. „Social Media and Literacy.” International Encyclopedia of Digital Communication & Society: 1-6. Aufgerufen am 05.07.2021, https://doi.org/10.1002/9781118767771.wbiedcs078, S. 9.
  3. Banaji, Shakuntala. 2015. „Social Media and Literacy.” International Encyclopedia of Digital Communication & Society: 1-6. Aufgerufen am 05.07.2021, https://doi.org/10.1002/9781118767771.wbiedcs078, S. 9. Banaji bezieht sich hier unter anderem auf Vorstudien von Selwyn, Neil und Lyndsay Grant. 2009. "Researching the realities of social software use – an introduction." Learning, Media and Technology 4 (2). Aufgerufen am 05.07.2021, https://doi.org/10.1080/17439880902921907.
  4. Banaji, Shakuntala. 2015. „Social Media and Literacy.” International Encyclopedia of Digital Communication & Society: 1-6. Aufgerufen am 05.07.2021, https://doi.org/10.1002/9781118767771.wbiedcs078, S. 10.
  5. Burnett, Cathy und Guy Merchant. 2011. “Is there a space for critical literacy in the context of social media?” English Teaching: Practice and Critique, Vol. 10 (1): 41-57. http://education.waikato.ac.nz/research/files/etpc/files/2011v10n1art3.pdf, S. 41.
  6. Jenkins, Henry. 2006. Fans, bloggers and gamers: Exploring participatory culture. New York: New York University Press.
  7. Vergleiche für kritische Pädagogik im Allgemeinen unter anderem Apple, Michael. 1982. Education and power. London: Routledge & Kegan Paul.
  8. Burnett, Cathy und Guy Merchant. 2011. “Is there a space for critical literacy in the context of social media?” English Teaching: Practice and Critique 10 (1): 41-57. Aufgerufen am 05.07.2021, http://education.waikato.ac.nz/research/files/etpc/files/2011v10n1art3.pdf, S. 42.
  9. Vergleiche Freire, Paulo. 1985. The politics of education, power and liberation.New York: Bergin and Garvey.
  10. Burnett, Cathy und Guy Merchant. 2011. “Is there a space for critical literacy in the context of social media?” English Teaching: Practice and Critique 10 (1): 41-57. Aufgerufen am 05.07.2021, http://education.waikato.ac.nz/research/files/etpc/files/2011v10n1art3.pdf, S. 44.
  11. Vergleiche Terranova, Tiziana. 2000. "Free Labor: Producing Culture for the Digital Economy". SocialText 63 (18, 2): 33-58.
  12. Banaji, Shakuntala. 2015. „Social Media and Literacy.” International Encyclopedia of Digital Communication & Society: 1-6. Aufgerufen am 05.07.2021, https://doi.org/10.1002/9781118767771.wbiedcs078, S. 6.


Die erste Version dieses Beitrags wurde von Vesna Schierbaum im Rahmen des Projekts "Digitale Souveränität" am Institut für Medienrecht und Kommunikationsrecht und am Institut für Medienkultur und Theater der Universität zu Köln erstellt.

Zitiervorschlag: Glossar Digitale Souveränität. 2021. „Social Media Literacy (Medienbildung).“ https://www.bigdataliteracy.net/glossar/. Zugegriffen am tt.mm.jjjj.